Warum man beim Bremsen gerne aus der Kurve fliegt

Motorradfahren hat ja mit Sex bekanntlich gemeinsam, dass man dem Gummi vertrauen muss. Und jeder Biker weiß eigentlich auch, dass die Bremse in der Kurve mit Vorsicht (oder besser gar nicht) zu genießen ist. Das gleiche gilt im Prinzip für das Gasgeben. Aber warum ist das so?

Kurven sind das Schönste (nicht nur) beim Guffel fahren. Aber man sollte dabei immer wissen, was man tut… (Bild: Meromex von Pixabay)

Der Grip ist leider begrenzt

Im Grunde ist das ganz einfach: Der „Grip“, ein Physiker wurde sagen: die Reibungskraft, also die mögliche Kraft, die zwischen Reifen und Straßenoberfläche übertragen werden kann, ist begrenzt. Sie ergibt sich aus der Kraft, mit der der Reifen auf die Straße gedrückt mal dem Reibungskoeffizienten, auch Reibbeiwert oder Reibzahl genannt. Bei einem Reifen auf trockenem Asphalt setzt man diesen Wert mit 0,8 an. Ein Reifen, der mit 1000 N auf die Straße gedrückt wird, kann also 1000 N x 0,8 = 800 N übertragen. Wird es mehr, rutscht der Reifen weg.

Fährt man geradeaus, steht der Grip voll für die Bremskraft zur Verfügung. Fährt man eine Kurve ohne zu bremsen, kann er voll für die Kurvenkraft, die Zentrifugalkraft da sein. Bremst man in der Kurve, muss er sich auf die Bremskraft und die Kurvenkraft verteilen.

Das gilt sinngemäß auch beim Beschleunigen. Nur dass es da alleine um das Hinterrad geht, beim Bremsen überwiegend um das Vorderrad. In der Kurve eigentlich sogar nur das Vorderrad, denn die Hinterradbremse sollte man der Kurve ja tunlichst zufrieden lassen.

Mal wieder ein Kräfteparallelogramm

Logisch, dass man also in der Kurve weniger bremsen darf, als auf der geraden. Sieht man sich diese Geschichte nun näher an, stellt sich heraus, dass es dabei wieder um eine Vektoraddition geht. Das klingt zunächst kompliziert, ist aber einfach, wenn man es zeichnerisch mit einem Kräfteparallelogramm (siehe der Artikel über Google und die Kurvenfahrt) darstellt.

Schon wieder eine Vektoraddition: Die Kräfte beim Kurvenfahren im Kräfteparallelogramm (Bild: Autor)

Schaut man sich das Bild mit dem Kräfteparallelogramm an, wird klar: Fges ist die maximale Kraft, die der Grip übertragen kann. Wenn man geradeaus fährt, kann er voll für die Bremksraft Fb da sein (gestrichelter senkrechter Kraftpfeil). Fährt man ein Kurve ohne zu bremsen, steht der Grip voll für die Zentrifugalkraft Fz zur Verfügung (gestrichelter waagerechter Kraftpfeil). Bremst man nun in der Kurve, darf die Vektorsumme, also die Resultierende Fges im Kräfteparallelogramm nicht größer werden als der Grip vertragen kann.

Je schneller, je schlimmer

Anhand des Kräfteparallelogramms wird nun auch klar: Wenn man, im Verhältnis zum Kurvenradius, langsam durch eine Kurve fährt, also die Kurvenkraft Fz nur klein ist, nimmt sie zunächst noch nicht viel von der erlaubten Bremskraft weg. Jetzt reicht die „Grip-Reserve“ noch für einiges an Bremskraft aus. Das weiß wohl auch jeder Biker aus Erfahrung: Solange man moderat durch ein Kurve fährt, kann man noch ungestraft bremsen.

Je schneller es aber im Verhältnis zum Kurvenradius durch die Kurve geht, umso mehr nimmt jedes zusätzliche Bisschen an Geschwindigkeit von der noch erlaubten Bremskraft weg! Je mehr sich die Kurvenkraft Fz nämlich dem Limit des Grips nähert, um so mehr Newton an erlaubter Bremskraft frisst jedes zusätzliche Newton Zentrifugalkraft auf. Ganz einfach, weil es auf dem Kreisbogen, auf dem die Spitze des Kraftpfeils liegt, immer steiler abwärts geht. Fährt man sehr nahe am Limit, kann ein kleines Bisschen Bremsen die Fuhre aus der Biegung schmeißen!

Das ganze gilt nun sinngemäß auch wieder für das Beschleunigen in der Kurve. Auch hier hängt ja die erlaubte Kraft davon ab, wie viel vom Grip bereits von Zentrifugalkraft beansprucht wird.

Keine Hinterradbremse in der Kurve

Nun wissen wir ja alle, dass das Hinterrad beim Bremsen viel leichter abschmiert als das Vorderrad. Deswegen lernen wir ja auch, dass man zu etwa 70% mit der vorderen Bremse bremsen soll und zu etwa 30% mit der hinteren. Das kommt daher, dass ein modernes Motorrad wie ein Auto beim Bremsen vorne in die Knie geht und kopflastig wird. Das Vorderrad wird daher stärker auf den Asphalt gedrückt als das hintere und kann daher mehr Bremskraft übertragen.

Die 70/30-Regel gilt nun allerdings nur auf der Geraden. In der Kurve soll man überhaupt nur vorne bremsen. Warum, kann man sich also denken: Natürlich wird auch in der Kurve beim Bremsen das Vorderrad be- und das Hinterrad entlastet. Weil aber nun durch die Entlastung der Grip am Hinterrad eh‘ schwächer wird, darf man ihn nicht zusätzlich durch Bremskraft belasten.