Die Geschichte des Motorrads II

Dies ist der zweite Teil einer mehrteiligen Geschichte, zum ersten Teil geht es hier.

Das Motorrad basiert letztendlich auf dem Fahrrad. Im ersten Teil ging es um angetriebene Räder und einspurige Zweiräder. Aus der Kombination von beiden entstand das Fahrrad wie wir es im Prinzip heute noch benutzen. Inzwischen war aber auch der Verbrennungsmotor erfunden worden. Und da war natürlich der Gedanke nicht allzu fern, sowohl die Kutsche als auch das Fahrrad zu motorisierten.

In meiner Artikelserie über Verbrennungsmotoren habe ich ja bereits erklärt, dass der Verbrennungsmotor letztendlich von der Kanone abstammt. Es gab ja auch die Idee des Schießpulvermotors, die ein Herr Christiaan Huygens (1629 – 1695) schon lange vor den Herren Étienne Lenoir (1822 – 1900) und Nikolaus August Otto (1832 – 1892) hatte. Allerdings wurde daraus nichts, auch wenn die Idee, die Ausdehnung von Verbrennungsgasen als Antriebskraft zu verwenden, durchaus ein richtiger Ansatz war.

Der Gasmotor

Étienne Lenoir stammte aus einem Teil von Luxemburg, das heute zu Belgien gehört und zwar offenbar aus finanziell eher beengten Verhältnissen. Eine technische Ausbildung, die er gerne gehabt hätte, konnten seine Eltern ihm leider nicht finanzieren. Er machte sich daher als junger Bursche auf nach Paris, um dort sein Glück zu probieren. Zunächst arbeitete als Kellner, dann als Emaillierer. Dabei machte er bereits seine erste Erfindung, eine Methode, weißes Email herzustellen. Weitere Erfindungen folgten und irgendwann konnte er von seinen Einkünften als Erfinder leben.

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Der Gasmotor von Lenoir arbeitete – noch ohne Verdichtung – nicht sehr wirtschaftlich, verkaufte sich aber gut, da es Bedarf für einen solchen Antrieb gab. (Bild: Historisch)

Seine finanzielle Unabhängigkeit ermöglichte es Lenoir nun, ein ehrgeiziges Projekt anzupacken: Er fand, dass das Potenzial der Dampfmaschine ausgeschöpft sei und wollte eine Wärmekraftmaschine schaffen, welche sie ersetzen konnte. Es störte ihn auch, dass man den Kessel der Dampfmaschine eine ganze Weile anheizen musste, bis die Maschine in Betrieb genommen werden konnte. Den reinen Grundgedanken der Dampfmaschine behielt er jedoch bei: ein heißes Gas, welches sich in einem Zylinder ausdehnte, einen Kolben schob, der wiederum über eine Kurbelwelle die Drehbewegung erzeugte.

Der Unterschied lag in der Methode, wie das Gas erhitzt wurde. Bei der Dampfmaschine wird außerhalb des Zylinders in einem Kessel der Wasserdampf erzeugt, der sich im Zylinder dann ausdehnt und den Kolben antreibt. Lenoir kehrte ihr gewissermaßen zum Ansatz von Christiaan Huygens mit seinem Schießpulver Motor zurück: Das heiße Gas wird direkt im Zylinder erzeugt, indem man dort etwas verbrennt. Huygens‘ Schießpulver war dafür nicht gut geeignet, weil es schwierig in den Zylinder einzubringen ist.

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Ein Ottomotor mit liegendem Zylinder, der auch wieder stark an eine Dampfmaschine erinnert. Diese Bauweise gab es bei Stationärmotoren bis weit ins 20. Jahrhundert hinei (Bild: Historisch)

Statt des Schießpulver verwendete Lenoir einfach ein Gas-Luftgemisch. Und zwar verwendete er Leuchtgas, dass damals bereits per Gasleitung in vielen Städten verfügbar war. Die Zündung erfolgte bereits elektrisch. Und zwar mittels des Rühmkorffschen Funkeninduktors, dem Vorläufer unserer modernen Zündspulen.

Der Motor des Herrn Lenoir erwies sich als praktisch anwendbar und durch geschickte Werbung verkaufte er sich auch gut. Die Dampfmaschine ersetzte er zwar nicht, stieß aber in eine ziemlich große Nische: Für die Werkstätten von kleinen Handwerksbetrieben und Manufakturen war eine Dampfmaschine zu groß, der Lenoir-Motor hingegen hatte hier genau die richtige Größe. Außerdem brauchte er lediglich einen Gasanschluss im Haus und auch das bei der Dampfmaschine erforderliche Kesselheizen entfiel. Dass er recht teuer im Betrieb war, nahmen die Kunden hin, zumal diese Maschine auch recht geräuscharm lief.

Herr Otto und der Verdichtungstakt

Dass der Lenoir-Motor unwirtschaftlich lief, lag wohl hauptsächlich daran, dass das Gas-Luftgemisch nicht verdichtet wurde. Nikolaus Otto, der bei der Gasmotorenfabrik Deutz arbeitete, behob diesen Mangel, indem er den Viertakt-Ottomotor mit seinen vier Takten zum Ansaugen, Verdichten, Arbeiten und Auspuffen entwickelte.

Automobil Benz Motorwagen
Den elegant und filigran gebauten Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 könnte man als Urahnen der leichtgebauten Sportwagen betrachten; dann… (Bild: Historisch)

Allerdings lauerte Ärger auf ihn, als er mit seiner Erfindung an die Öffentlichkeit ging. Zwei Leute behaupteten gleich mal, allerdings erfolglos, vor ihm auf die Idee des Viertaktmotors gekommen zu sein. Ein dritter, ein Christian Reithmann, seines Zeichens Hofuhrmachermeister des bayerischen Königs, konnte nachweisen, dass er tatsächlich bereits vor Otto einen Viertaktmotor gebaut hatte. Die Gasmotorenfabrik Deutz schloss mit diesem eine Art Kuhhandel, der vor allem beinhaltete, dass Reithmann schriftlich erklärte, seinen Motor geheim gehalten zu haben. Im Grunde war das eine ähnliche Situation wie bei Daimler und Benz, die beide das Auto erfanden, ohne voneinander zu wissen.

Automobil Auto Kraftwagen Daimler Motorwagen
… wäre das Daimlersche Auto die Stammutter der behäbigen Limousinen (Bild: Historisch aus „Die Gartenlaube“ 1889)

Ganz egal, ob man nun Otto oder Reithmann als Erfinder des Viertaktmotors ansehen möchte, zunächst war diese Maschine nur als Stationärmotor geeignet. Heute können Gasmotoren auch in Fahrzeugen verbaut werden, weil wir Flüssiggas haben, von dem man einen ganzen Haufen auf kleinem Raum unterbringen kann. Damals gab es das noch nicht; das erste Flüssiggas, das Blaugas, kam erst 1903 auf den Markt.

Zweieiige Zwillinge: Kraftrad und Kraftwagen

Die Erfindung des Motorrads ist eng mit der des Automobils verknüpft. Das Grundproblem, den Ottomotor fahrbar zu machen, haben beide. Und bei beiden wird es auf die gleiche Art und Weise gelöst, indem man statt des Gases Benzin verwendet, das vergast – eigentlich nur zerstäubt – und mit Luft gemischt wird. Dazu musste also der Vergaser erfunden werden, der viele Jahre eine zentrale Baugruppe von Ottomotoren war.

Daimler Reitwagen Motorrad
Das erste Auto hat streng genommen Carl Benz erfunden, denn er hatte es bereits im Jahre 1885 fertig, Gottlieb Daimler kam erst 1886 mit dem seinen daher. Allerdings hatte er bereits 1885 seinen Reitwagen gebaut, den Urahn unserer geliebten Motorräder (Bild: Zeichnung von Gottlieb Daimler/Historisch)

Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass in beiden Fällen auch Dampfkraft ausprobiert wurde. Wäre allerdings Dampfmotorräder eher eine Art Kuriosum blieben, waren Dampfautos – und auch Elektroautos – in der Anfangszeit ernsthafte Alternativen zum Auto mit Verbrennungsmotor. Beide verschwanden aber als die ersten alltagstauglichen elektrischen Anlasser das schwere und gefährliche Ankurbeln des Automotors erübrigte.

Beim Fahrrad als Vorläufer des Motorrads war das Prinzip des Antriebsrades als Vortrieb bereits vorhanden, bei der Kutsche nicht. Allerdings gab es ja auch bereits muskelkraftbetriebene mehrspurige Fahrzeuge. Sieht man einmal von Rollstühlen, Fahrradrikschas und dreirädrigen Fahrrädern für Behinderte und als Lastenfahrrad ab, haben sich muskelkraftbetriebene „Autos“ im Gegensatz zum Fahrrad nicht durchsetzen können, außer als Tretautos für Kinder. Wer schon einmal mit so einem viersitzigen Tretauto für Erwachsene gefahren ist, wie man sie manchmal bei Fahrradverleihern mieten kann, weiß dass das aufgrund des hohen Gewichtes eine elende Plackerei ist.

Tatsächlich wurde nun Motorrad und Auto sozusagen miteinander erfunden. Außerdem nahmen die ersten Autos zum Teil auch Anleihen von der Fahrradtechnik und nicht nur von der Pferdekutsche. Bei den damals noch schwachen Motorleistungen war ein fahrradähnlicher Leichtbau von Vorteil. Der dreirädrige Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 verfügt über elegante Speichenräder wie man sie damals schon von Fahrrädern kannte. Auch sein Rahmen besteht ähnlich wie beim Fahrrad aus Stahlrohren.

Maybach Daimler Verbrennungsmotor
Seit ihrer Zeit in der Maschinenfabrik Bruderhaus waren sie Weggefährten: Wilhelm Maybach (l.) und Gottlieb Daimler (r.) Leider wird Maybachs Anteil an der Erfindung des Autos (und des Motorbootes sowie des Motorrades) allgemein viel zu wenig beachtet. (Bilder: Historisch)

Carl Benz (1844 – 1929) beschränkte sich darauf, ein Auto zu bauen und schaffte dies 1885. Damit war er Gottlieb Daimler (1834 – 1900) zwar zuvorgekommen, doch hatte dieser 1885 bereits den Daimler Reitwagen gebaut, der als das erste Motorrad gilt, auch wenn er streng genommen kein Zweirad ist, weil er zu den beiden großen Rädern noch zwei Stützrädchen besitzt. Wenn man spitzfindig (und als Schwabe auch großmütig) ist, kann man Benz die Erfindung des Autos und Daimler die des Motorrads zugestehen. Das ist aber Ansichtssache, denn tatsächlich wussten Gottlieb Daimler und Carl Benz nichts voneinander und schon gar nicht, dass sie am gleichen Gedanken arbeiteten. Jeder kam also für sich alleine auf seine jeweilige Lösung.

Herr Daimler und Herr Maybach arbeiten gründlich

Daimler machte mit schwäbischer Gründlichkeit aber gleich mal so richtig Nägel mit Köpfen: Er ging zunächst her und entwickelte einen verhältnismäßig kleinen und verhältnismäßig schnelllaufenden Ottomotor mit einem Schwimmervergaser, sodass dieser also mit Benzin laufen konnte. Um diesen Motor zu erproben baute er zusammen mit seinem engen Mitarbeiter Wilhelm Maybach den besagten Reitwagen, also das erste Motorrad.

Sylvester H. Roper baute Dampfräder, die tatsächlich funktionierten. Er stellte 1896 damit sogar einen Geschwindigkeitsrekord mit 64 km/h auf und starb etwas später mit 73 Jahren auch bei einem der ersten Motorradunfälle der Geschichte (Bild: Historisch)

Es ist eigentlich ungerecht, dass in Zusammenhang mit dem ersten Stuttgarter Auto meist nur von Daimler geredet wird. Wilhelm Maybach war bereits sein treuer Weggefährte geworden, als er Leiter der Bruderhaus-Maschinenfabrikin Reutlingen war, arbeitete mit ihm zusammen bei der Karlsruher Maschinenbaugesellschaft, bei Deutz in Köln und schließlich in Daimlers eigener Werkstatt in Cannstatt. Es wird sogar gesagt, dass eher Maybach der Genius und Daimler mehr der Unternehmer gewesen seien.

1886 kam Gottlieb Daimler dann auch mit einem Auto. Dieses war eine motorisierte Kutsche und daher schwerer gebaut als das filigrane und elegante Gefährt von Benz. Man könnte also auch sagen, dass Benz der Vater der eleganten, sportlichen Flitzer und Daimler der der behäbigen Limousinen ist. Oder dass das erste Auto von Benz fröhliche badische Leichtigkeit und das von Daimler behäbige schwäbische Solidität verkörperte. 1889 schuf Daimler aber auch noch einen, allerdings vierrädrigen, leichten Motorwagen in der filigranen Bauweise mit Fahrradteilen, wie sie auch Benz verwendet hatte.

Das Motorrad und das Auto waren dem Herrn Daimler aber nicht genug, denn kurz vor dem Auto hatte er zwischendurch noch kurz mal das Motorboot erfunden. Und schließlich baute er seinen Motor auch noch in einen Straßenbahnwagen ein und schuf so den ersten Triebwagen mit Verbrennungsmotor. Tatsächlich war Daimlers Gedanke bei der Entwicklung seines unter dem Spitznamen „Standuhr“ bekannten Motors auch gewesen, einen leichten, mobilen Verbrennungsmotor für Fahrzeuge zu Lande, zu Wasser und sogar in der Luft zu entwickeln. So geht Schwäbische Gründlichkeit!

Das erste „richtige“ Motorrad, das auch so hieß

Das erste Motorrad, das sich auch wie ein Motorrad fahren ließ, kam 1894 heraus. Außerdem wurde es in Serie produziert und verkauft. Der Reitwagen von Daimler war ja ein Einzelstück geblieben. Der Hersteller war die Firma Hildebrand und Wolfmüller. Heinrich Hildebrand brannte für das Fahrrad, gab eine Radfahrer-Zeitschrift heraus und hatte mit seinem Bruder Wilhelm bereits ein Dampfrad konstruiert, welches aber erfolglos blieb.

Das erste „richtige“ Motorrad: Die Hildebrand & Wolfmüller von 1894 war eine etwas verquaste Konstruktion. Die Pleuelstangen kurbelten direkt an der Hinterachse; Kupplung und Getriebe gab es nicht (Bild: Addvisor/Lizenz; CC Attribution-Share Alike 4.0 International)

1892 beauftragte er Alois Wolfmüller, der einschlägige Erfahrungen beim Fahrradhersteller Dürkopp und bei Carl Benz gesammelt hatte, ein Motorrad mit einem Benzinmotor zu entwickeln. Ende 1893 war die Entwicklung abgeschlossen und 1894 kam das Fahrzeug dann auf den Markt. In der Patentschrift wurde es als „Motorrad“ bezeichnet und war damit sozusagen das erste seiner Art.

Wie es weiterging steht im dritten Teil dieser kleinen Artikelserie zu lesen.