Ähnlichkeiten und Unterschiede

Schon vor vielen Jahren fiel mir auf, dass die Motorräder – damals gab es nur erst die Boxer – von BMW und Moto Guzzi interessante Ähnlichkeiten aufweisen. Bei näherem Hinsehen entdeckt man aber doch allerhand Unterschiede. Dabei lohnt es sich auch, einen Blick auf die Entwicklungsgeschichten der beiden Antriebskonzepte zu werfen.

Auf den ersten Blick ähneln sie sich stark: BMW und Moto Guzzi bauen ihre Motoren beide längst ein und übertragen die Antriebsleistung mit Kardanwellen. Zudem besitzen beide Motoren sich gegenüberliegende Zylinder: Hier ein Zweizylinder-V-Motor, dort ein Zweizylinder-Boxermotor.

BMW und Moto Guzzi: Moto Guzzi mit V-Motor
Moto Guzzi und… (Bild: Cjp24/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 3.0 Unported)

Die Kurbelwellen von BMW und Moto Guzzi

Bei diesen auf den ersten Blick frappanten Ähnlichkeiten zwischen BMW und Moto Guzzi drängt sich die Frage auf, ob hier etwa abgekupfert wurde. Auf den ersten Blick ähnelt eine Moto Guzzi ja einer BMW, deren Zylinder ein Stück nach oben geklappt worden. So nach dem Motto: Das bauen wir mal nach, klappen aber die Zylinder ein Stückchen nach oben, damit es nicht ganz so nach Plagiat aussieht.

BMW und Moto Guzzi: BMW-Boxer
… BMW: Auf den ersten Blick recht ähnliche Antriebskonzepte (Bild: emkanicepic/pixabay)

Das kann so aber schon mal nicht stimmen: Die Ähnlichkeit der Triebwerke ist nämlich nur äußerlich: Was man von außen nicht sieht, sind die Kurbelwellen. Und die unterscheiden sich erheblich. Zwei Kurbelwellenkröpfungen bei BMW und Moto Guzzi weist nur eine auf. Das kommt nicht von ungefähr: Schließlich ist das Guzzi-Triebwerk ein V-Motor, während BMW ja den sprichwörtlichen Boxer hat. Ein V-Motor den man einfach platt drückt, ergibt halt keinen Boxer. Genauso wenig wird aus einem Boxer ein echter V-Motor, wenn man die Zylinder ein Stück nach oben klappt.

Typische Motoren im Wandel der Zeit

Zunächst einmal gibt es zwischen BMW und Moto Guzzi sozusagen einen philosophischen Unterschied: Der heute traditionelle Guzzi-Motor wurde nicht schon immer verbaut. Beide Firmen bestehen ja seit einem Jahrhundert. Bei Moto Guzzi gibt es den heute typischen Motor aber erst in der zweiten Hälfte der Firmengeschichte. Bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren die Maschinen von Moto Guzzi für ihre liegenden Einzylinder bekannt. Mit diesem Konzept war die Marke aus Mandello am Comer See schon bald nach der Firmengründung der größte Motorradhersteller Italiens geworden. Der V-Motor kam erst 1966.

BMW R 32
Bei BMW gab es den heute noch typischen Boxer bereits beim allerersten Modell, der R 32 von 1923, während… (Bild: Arnaud 25/Lizenz: CC Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)

Bei BMW hingegen war das noch heute typische Motorenkonzept schon von Anfang an da. Bereits die allererste BMW, die R 32 von 1923 besaß den längs eingebauten Boxer mit einer Welle zum Hinterrad. Kardanwelle konnte man damals noch nicht sagen, denn es gab noch keine Hinterradfederung; deswegen waren auch Gelenke in der Antriebswelle nicht nötig.

Wenn BMW heute auch andere Motorräder als die Boxermodelle baut, sind diese dennoch typisch für BMW. Tatsächlich hätte der Boxer eigentlich sterben sollen, tat es aber doch nicht. Vermutlich, weil er auch nach der Einführung der neuen Motoren immer noch genügend Leute überzeugte. Bei Moto Guzzi verschwand der bis dahin typische liegende Einzylinder nach dem Erscheinen des V-Motors: Der Nuovo Falcone war kein Erfolg mehr beschieden.

Die Entwicklungsgeschichten der Motoren von BMW und Moto Guzzi

Gegen den bösen Verdacht des Plagiats spricht auch die Entwicklungsgeschichte der Motoren von BMW und Moto Guzzi. Der BMW-Boxer war von Anfang an ein Motorradmotor. Bereits sein Vorläufer, der Bayern-Kleinmotor, war ein Einbaumotor für Motorräder. 1923 baute BMW dann sozusagen den Rest des Motorrades um den Motor herum. Der Motor der R 32 glich dem Bayern-Kleinmotor zwar nicht ganz, basierte aber auf dessen Konzept.

Moto Guzzi Dondolino
… für Moto Guzzi zunächst viele Jahre der liegende Einzylinder typisch war (Bild: Serge PIOTIN aka Sergio/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 2.5 Generic)

Der V-Motor von Moto Guzzi entstand aber ganz anders. Er wurde in der bösen Zeit konstruiert, als der erste Motorradboom zu Ende war und der zweite noch nicht begonnen hatte. Und zwar als Autoantrieb, denn zu dieser Zeit waren Kleinwagen gefragt. Schaut man sich die ersten Guzzis mit V-Motor von der Seite an, wird das plausibel: Motor und Getriebe ähneln durchaus dem Antriebsstrang eines Autos.

In den sechziger Jahren schrieb die italienische Regierung ein Behördenmotorrad aus. Zu den Anforderungen dieser Ausschreibung passte der V-Motor von Moto Guzzi recht gut. Und so wanderte die für das Auto konstruierte Technik in die Motorräder von Moto Guzzi, die mit diesem Konzept bis heute erfolgreich sind.