Ein Jahrhundert Evolution eines Triebwerks
Der Boxer-Motor war bei BMW von Anfang an dabei. Natürlich veränderte er sich in dieser Zeit deutlich. Die Boxer von BMW zeigen dabei einige Meilensteine des Motorradmotorenbaus auf. Ein Grund, einmal einen Blick auf diese Bauweise zu werfen, die BMW heute von fast allen anderen Motorradherstellern abhebt und uns doch so vertraut ist.
Zur Bauweise von BMW gehört neben der Boxer-Technik auch der Einbau in Längsrichtung und die Kardanwelle. Ähnlichkeiten mit den Maschinen von BMW weisen die Motorräder von Moto Guzzi auf. Doch der längs eingebaute Zweizylinder-V-Motor, der heute so typisch Guzzi ist, ist lange nicht so alt wie der Boxer von BMW. Während Guzzi erst seit den sechziger Jahren die heute typische Bauweise einführte, ist der Boxer von BMW sogar noch älter als das Motorrad.
Der Boxer von BMW wird geboren
Wenn der Boxer von BMW auch der Ur-Motor der BMW-Motorräder ist, ist seine Geschichte doch noch länger als die der Maschinen, die ihn bekannt machten. Lange bevor BMW begann Motorräder zu bauen, hatte die Firma schon einen Namen als Motorenbauer. Schließlich steht BMW ja auch für „Bayerische Motoren Werke“. Das „M“ bedeutet also keineswegs „Motorrad“ sondern „Motoren“.
BMW war nämlich bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein namhafter Hersteller von Flugzeugmotoren. Das berühmte Logo der Marke stellt einen stilisierten Flugzeugpropeller dar. Nach dem Ersten Weltkrieg durften deutsche Unternehmen weder Flugzeuge noch Flugmotoren bauen. So mussten die einschlägigen Fabriken sich neue Betätigungsfelder suchen. Bei BMW waren das zum Beispiel zunächst Motoren für Lkw, Traktoren und Boote.
Wenn auch das blau-weiße Motorrad mit dem Boxer erst nächstes Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, ist sein Motor, der Boxer von BMW sogar schon etwas älter als 100 Jahre. Ein gewisser Martin Stolle konstruierte den Urvater dieser langen Reihe von Triebwerken bereits 1920. Der für die Verhältnisse in den Bayerischen Motorenwerke in mit 500 cm³ eher kleine Motor schaffte es in das Produktionsprogramm von BMW unter dem Namen „Bayern-Kleinmotor“.
Beginn mit Seitenventilen
Diesen „Bayern-Kleinmotor“ könnte man als Beginn einer ersten Ära der Boxer von BMW betrachten. Der Zeit entsprechend hatte dieses Maschinchen nämlich noch Seitenventile. Das ist eine der altertümlichsten Ventilsteuerungen. Aber damals, wir schrieben ja 1920, war das gewissermaßen State of the Art bei Motoren, die in größerer Anzahl produziert worden.
Modernere Ventilsteuerungen wie hängende Ventile mit oben liegenden Nockenwellen gab es zwar schon, sie waren aber fast nur Rennmotoren vorbehalten. Und so kennt man die ganz alten Boxer von BMW an ihren flachen Zylinderköpfen, die kennzeichnend für diese Art der Steuerung sind.
Zunächst wurde dieser erste Boxer von BMW als Einbaumotor verkauft. Damals gab es eine Unzahl von kleinen Motorradmachern, die heute kaum jemand mehr kennt. Viele hatten keine eigene Motorenfertigung. Daher waren Einbaumotoren gefragt.
Der Boxer von BMW bekommt sein eigenes Motorrad
1923 präsentierte BMW sein erstes eigenes Motorrad, die R 32. Sie hatte einen Boxermotor, der auf dem „Bayern-Kleinmotor“ von Martin Stolle basierte. Und so ist diese R 32 die Urmutter aller BMWs mit Boxermotor bis hin zur aktuellen R 18.
Die R 32 verkaufte sich gut, aber BMW ruhte sich nicht auf den Lorbeeren aus. Schon 1925 kam der erste Boxer von BMW mit hängenden Ventilen und Zylinderköpfen aus Aluminium. Damit war BMW zum Beispiel Harley-Davidson weit voraus, die zu dieser Zeit noch nicht mal bei ihrem Flathead-Motor angelangt waren. Dort pfriemelte man nämlich bis 1929 mit dem F-Head umher, dessen Einlassventil oben im Zylinderkopf hing und über ein spillerig anmutendes, freiliegendes Gestänge betätigt wurde. Das nennt sich „Inlet over Exhaust“, denn das Auslassventil ist ein ganz normales stehendes Ventil. Irgendwie sieht dieser Motor aus wie von vor dem Ersten Weltkrieg.
Die OHV-Technik hält Einzug
Allerdings muss man zugeben, dass der Wechsel von den seitengesteuerten zu den obengesteuerten Motoren bei BMW auch ein länger dauernder Prozess war. Nach dem schon lange Modelle mit hängenden Ventilen gebaut wurden, verschwand der letzte seitengesteuerte Boxer von BMW erst 1942. Bis dahin wurden SV- und OHV-Motoren gewissermaßen als Alternativen für den Käufer gebaut, als Touren- und als Sportmotorrad.
Immerhin konnte BMW seine obengesteuerten Motoren beruhigt auch in die Motorräder für die Deutsche Wehrmacht einbauen. Harley-Davidson hat sich das nicht getraut. Der Knucklehead, der erste oben gesteuerte Motor aus Milwaukee muckte gerne. Um Ärger zu vermeiden verkaufte man also den ganzen Zweiten Weltkrieg Flatheads an die U.S. Army.
Man liest, dass die Probleme der Knucklehead-Motoren daran lagen, dass es keinen geeigneten Werkstoff für dei ventilführungen gab. Die Kipphebel einer OHV-Steuerung üben nämlich Seitenkräfte aus, welche die Ventilschäfte gewissermaßen in ihren Führungen verkanten. Und diese schräge Belastung verschliss offenbar die Ventilschaftführungen des Knucklehead-Motors übermäßig.
Man darf natürlich nun die ketzerische Frage stellen, warum Boxer von BMW schon 1925 dieses Problem offensichtlich nicht hatten. Ob es in der Republik Deutsches Reich des Herrn Hindenburg schon bessere Werkstoffe gab? Oder konnte man das Problem bei BMW konstruktiv vermeiden? Jedenfalls kriegten die das damals schon hin.
Oma mit Power
Nun ja, Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Es mag ja sein, dass die Boxer von BMW noch in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts aussahen wie gemütliche Omas. Das täuschte aber gewaltig. Schon Generationen vor den BMWs des zweiten Motorradbooms hatte BMW mit dem Boxermotoren ein mehr als nur gewichtiges Wörtchen im Rennsport mitgeredet.
Dem Gusseisernen Schorsch, stilecht zu BMW natürlich ein Bayer namens Georg Meier, verhalfen die Guffeln mit den zwei Ohren zu gewaltigen sportlichen Erfolgen. Und, oh Schreck, 1939 fuhr er sogar den Briten bei ihrem Kult-Rennen, der TT auf der Isle of Man davon. Das war bitter für Merry Auld England, denn bislang hatte es kein Nicht-Brite gewagt, hier zu gewinnen.
Aber der Gusseiserne Schorsch war nicht der einzige. Ein weiterer Star dieser Tage war Ernst Henne. Er stellte 1937 mit der gleichen 500er-Kompresso-BMW einen Geschwindigkeitsrekord für Motorräder auf, der erst 1951 mit einer NSU gebrochen werden konnte. Bis über 100 PS holten die Techniker aus diesem speziellen Boxer von BMW heraus. Für die „normalen“ Rennen soll sie so 50-60 PS gehabt haben. Auch das war schon allerhand für die damalige Zeit. Eine Besonderheit dieser Maschine waren die oben liegende Nockenwellen, die über Königswellen angetrieben worden.
Boxer von BMW als Kinderportion
Ab 1938 gab es den alten Führerscheinklasse vier, mit dem man Kraftfahrzeuge bis 250 cm³ Hubraum fahren durfte. Das war natürlich ein neuer Markt. Der Boxer von BMW wurde gewissermaßen halbiert und zu einem stehenden Einzylinder. Der Einbau in Längsrichtung und die Kardanwelle wurden beibehalten.
Die „250er BMW“ gab es in einer ganzen Reihe von Modellen bis lange nach dem Krieg. Sie war eines der wenigen sportlichen Motorräder des ersten Motorradbooms. Sie spielte in einer Liga mit der NSU Max, der Schwarzen Josephine von Tornax und der 250er Regina von Horex. Als einzige dieser flotten Bikes der Fünfziger hielt sie sich bis weit in die 1960er Jahre hinein.
Man fragt sich, warum sie 1966 eingestellt wurde, als schon der zweite Motorradboom begonnen hatte. Sie wäre doch eine nette Alternative zu den japanischen 250ern gewesen. Vielleicht lag es daran, dass diese schon bei ihrem Auftauchen deutlich mehr PS aus dem Viertelliter holten?
Die Renaissance der großen BMWs
Der Boxer von BMW hatte die böse Zeit um 1960 als Behördenmotorrad überlebt. Als nun Motorräder als Spaßgeräte gefragt waren, startete auch BMW wieder durch. Es gab ab 1969 auch wieder eine 750er. Wie die damaligen 50oer und 600er gehörte sie zur Generation der Gummikühe – der BMWs mit dem Vollschwingenfahrwerk. Mit ihren 50 PS konnte sie leider mit der brachialen Gewalt der Honda CB 750 Four nicht mithalten. Trotzdem verkaufte sie sich und gehört heute zu den echten Klassikern.
Dann durchbrach BMW die Schallmauer von 750 cm³. Mit der R 90 wurde ein Traum von einem Motorrad geschaffen. Auch wenn nun Kawasaki mit der Z1 wiederum mehr PS bot, war die 900er BMW ein wunderschönes Motorrad.
BMW blieb weiter rege. 1980 wagte man sich an eine Enduro. Die erste mit Mehrzylindermotor und Kardan. Sie wurde skeptisch beäugt, was sie aber nicht daran hinderte, kurz mal die nächste Rallye Dakar zu gewinnen.
Die Boxer von BMW heute
Vielleicht wollte BMW ja das Schicksal von Harley-Davidson vermeiden, das Motorrad einer Generation zu sein. Vielleicht wollte man auch nur neue Marktsegmente erschließen. Jedenfalls setzten die Bayern neben die altgedienten Boxer mit Kardan Modelle mit ganz anderem Antrieb.
Und es wurden wieder einmal Nägel mit Köpfen gemacht. Die Maschinen mit quer eingebauten Einzylinder und ebensolchen Mehrzylindern kamen gut an. Und mit der K 100 RS gab es etwas ganz Neues: ein längs eingebauter liegender Vierzylinder mit Kardanantrieb. Aber deswegen starben die Boxer von BMW nicht aus. Obwohl das eigentlich geplant war.
Im Gegenteil: Der Boxer von BMW wurde sogar weiter entwickelt. 1993 kamen mit der R 1100 RS obenliegende Nockenwellen wie weiland in der 500er Kompressor-BMW. Nur dass der Antrieb hier nicht über eine Königswelle sondern über eine Steuerkette funktionierte.
Ein erster Cruiser, die R 1200, wurde bei uns nicht besonders angenommen. Wie mir aber ein Freund gestern berichtete, erfreute und erfreut sie sich in den USA großer Beliebtheit. Der große Wurf mit einem Cruiser gelang dann mit der R 18 auch in Deutschland. Mal wieder ein Traummotorrad von BMW, das mich begeistert wie seinerzeit die R 90 S in Silberrauch. Vielleicht ist die R 18 ja derzeit das schönste (neue) Motorrad auf dem Markt?
2 Pingbacks