Was kann und was macht ein ABS?

Das ABS – das Antiblockiersystem – ist beim Auto eigentlich schon ein alter Hut und auch bei neuen Motorrädern ist es seit 2016 vorgeschrieben. Aber was kann so ein Gerät – und vor allen Dingen: Was kann es nicht?

Zunächst mal müssen wir uns über ein Ding klar sein: Ein ABS kann den physikalisch möglichen Bremsweg nicht verkürzen. Wer denkt, dass er mit einem ABS auf spiegelblankem Eis so schnell zum Stehen kommt wie auf trockenem Asphalt, wird sehr schnell eine böse Überraschung erleben. Aber was kann ein ABS dann überhaupt?

Mit einem ABS wäre das vielleicht nicht passiert… (Bild: fsHH von Pixabay)

Es verhindert das Blockieren des Rades und nutzt damit den physikalisch möglichen Bremsweg oft besser aus als das ein durchschnittlicher oder sogar guter, selbst ein hervorragender Fahrer kann. Es erhält damit gleichzeitig die Lenkbarkeit des Rades und verhindert, dass es ausbricht.

Haftreibung und Gleitreibung

Der kürzest mögliche Bremsweg ist von nichts anderem abhängig als von der Reibung zwischen Reifen und Straße. Und die wiederum hängt vom Reifen und der Fahrbahnoberfläche ab. Ein weicher Reifen hat auf einer bestimmten Fahrbahnoberfläche mehr Reibung als ein harter, nutzt sich dafür aber schneller ab. Bei einem bestimmten Reifen gibt es auf einer griffigeren Oberfläche mehr Reibung als auf einer weniger griffigen. Am griffigsten ist trockener Beton, etwa genauso gut trockener Asphalt. Ist die Straße nass, wird es schon deutlich schlechter und auf Eis geht der Bremsweg gegen unendlich. Wie auf Eis oder gar noch schlechter wird es, wenn sich ein Wasserfilm zwischen Reifen und Straße auf baut. Das nennt sich dann Aquaplaning. Ein Wasserfilm zwischen Eis und dem, was sich darauf bewegt ist es auch, was das Eis rutschig macht und Schlittschuhe gleiten lässt. Und natürlich ist nasses Laub auf der Straße auch absolut gemein, weil es sich nach Murphys Gesetz besonders gerne in Kurven versteckt. Wenn die Folge, so wie bei mir, bei meiner letzten Sonntagnachmittagstour des letzten Jahres, lediglich ein kurzes Wegrutschen des Hinterrades ist, hat man ein Schweineglück gehabt. Was reibungsmäßig mit dem eigenen Reifen und der jeweiligen Straßenoberfläche geht, nennen wir Biker den Grip.

Bei der Reibung muss man zwei Varianten unterscheiden: Die Haftreibung und die Gleitreibung. (Für Schulphysiker in meinem Alter oder älter: Die Rollreibung, die wir damals – war es nicht in der achten Klasse? – als Dritte im Bunde kennenlernten, gibbet nich mehr. Weil sie nämlich keine Reibung ist, heißt sie jetzt Rollwiderstand.)

Wenn ein Rad richtig abrollt, herrscht zwischen ihm und dem Untergrund Haftreibung. Wenn es blockiert oder durchdreht, Gleitreibung. Und die ist kleiner als die Haftreibung: Wenn man einen schweren Karton über einen glatten Fußboden schiebt, merkt man deutlich, dass es leichter wird, wenn das Ding erst mal in Rutschen gekommen ist. Dreht ein Rad durch oder blockiert, hört es so schnell nicht wieder auf damit, denn wenn schon die Haftreibung nicht gereicht hat, reicht die Gleitreibung erst recht nicht.

Prinzipielle Arbeitsweise eines ABS

Das bedeutet nun aber, dass man den kürzesten Bremsweg nicht mit blockierenden Rädern erreicht, sondern dann, wenn sie eben gerade noch nicht blockieren – und natürlich die bestmögliche Beschleunigung, wenn sie gerade so eben nicht durchdrehen. Genauer gesagt: Bremswirkung und Traktion sind am besten, wenn es eine bestimmte, kleine Rutschbewegung, einen minimalen Schlupf zwischen Reifen und Straße gibt.

Was tut nun das ABS?

Das ist eigentlich ganz einfach: Es tut das, was sein Name sagt: Es verhindert – zumindest das mehr als nur ganz kurzzeitige – Blockieren der Räder beim Bremsen, in dem es Druck aus der Bremsleitung nimmt. Das ist eigentlich sehr einfach. In der Theorie. In der Praxis wohl eher nicht, denn sonst hätte schon Gottlieb Daimler so was in seinen Motorwagen verbaut. Es war auch tatsächlich ein langer Weg zum alltagstauglichen ABS und er fing in der Tat zu Lebzeiten von Gottlieb Daimler an.

Nun, heute funktioniert es wunderbar. Und das Prinzip ist wie gesagt gar nicht kompliziert: Das System stellt fest, ob das Rad anfängt zu blockieren und nimmt gegebenenfalls Druck aus der Bremsleitung. Kompliziert wird es erst bei der praktischen Umsetzung: Tatsächlich bremsen gummibereifte Räder am besten, wenn sie kurz vor dem „richtigen“ Blockieren sind, sich also schon etwas langsamer drehen, als sie sollten. Der Fachmann nennt das Schlupf. Das System erkennt das – fragt mich bitte nicht wie – heute offenbar sogar schon bevor die Räder tatsächlich blockieren.

Der ABS-Sensor am Vorderrad einer BMW K 1100 LT (Bild: User:NSX-Racer/Lizenz: Creative-Commons-Lizenz Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 generisch)

Das Prinzip sieht man in der Abbildung: Mit Hilfe des Sensors stellt die Steuerelektronik fest, wenn das Rad blockieren will. Wenn das der Fall ist, steuert sie den Modulator an, der dann Bremsdruck aus der Leitung nimmt. Dreht sich das Rad wieder, merkt die Steuerelektronik dies ebenfalls mit Hilfe des Sensors und gibt dann mittels eines Signals an den Modulator den Bremsdruck wieder frei.

Effekt: Man nutzt so ziemlich gut aus, was der Reifen in der jeweiligen Situation an Grip bringt.

Kurven-ABS

Bei Autos bringt ein einfaches ABS auch in Kurven etwas, nämlich dass das Auto beim Bremsen lenkbar und damit in der Kurve bleibt, wenn man bremst. Und natürlich auch wenn man beim Bremsen auf einmal eine Kurve fährt, zum Beispiel einen Ausweichschlenker.

Ein blockiertes Rad ist nicht mehr lenkbar. Warum? Ganz einfach: Das Rad geht immer den Weg des geringsten Widerstandes. Und das ist, solange das Rad sich drehen kann, die Richtung in die es zeigt. Das Rad zu drehen geht leichter, als es über den Asphalt zu schieben. Also folgt das Fahrzeug der eingeschlagenen Kurve. Blockiert das Rad, geht es in alle Richtungen gleich schwer und so rutscht die Mühle dahin, wohin es die Massekraft, der Schwung also, an seinem Schwerpunkt es hin zieht. Und das ist geradewegs tangential aus der Kurve.

HONDA CBR1000RR-R FIREBLADE SP: Für Motorräder ist ein Kurven-ABS eine sehr sinnvolle Sache (Bild: Honda Pressebild)

Bei einem Auto brauch das ABS also im Prinzip nur auch in der Kurve ganz normal zu funktionieren, damit es etwas bringt. Und das tut es ja auch.

Bei der Guffel ist das leider nicht so einfach. Die steht ja nicht auf vier Punkten fest auf dem Boden der Tatsachen, sondern balanciert quasi auf nur zweien. Deswegen macht sie beim Bremsen in der Kurve auch gerne komische Sachen. Es ist ein kompliziertes Kräftegleichgewicht, das dafür sorgt, dass wir im Normalfall heil um die Ecke kommen. Ein Motorrad fährt ja – jedenfalls ab einer bestimmten Geschwindigkeit – anders als ein Auto nicht in die Richtung, in die man die Lenkung einschlägt, eher im Gegenteil: Wenn man am linken Lenkergriff zieht, fährt das Bike nach rechts. Man leitet, wie es so schön heißt, eine Rechtskurve mit einem Lenkimpuls nach links ein.

Übrigens habe ich das unzählige Mopedkilometer lang überhaupt nicht gewusst. Und auch der Fahrlehrer, als ich den Einser machte, erzählte nichts davon. Was wir in der Fahrschule lernten, war lediglich, dass man wie beim Auto vorwiegend vorne bremst – anders als meine alter Herr mit seiner Kradmelderausbildung aus dem WK II mir eingetrichtert hatte. Das war vielleicht bei Vorkriegsmotorrädern so und auch mit meinen Mopradeln vom Peugeot Mofa über Quickly und diverse Herculesse bis zur Zündapp Falconette (seufz) funktionierte es, genauso wie beim Fahrrad. Da bremse ich auch heute noch vorwiegend mit dem Rücktritt. Und auch Alt-Guru Alexander Spoerl („Mit Motorrad und Roller auf Du“, stand damals noch in der Stadtbibliothek) schrieb nichts über alle diese Dinge, über die man heute super Informationen im Netz, speziell in YouTube-Videos findet.

Ich frage mich heute, wie wir damals so ohne weiteres Schräglagen hinkriegten, die mich heute bedenklich stimmen. Wir fuhren offenbar intuitiv nach der Regel: „Where you look is where you ride.“ Und okay, das eine oder andere Mal klappte doch mal wieder die Straße hoch. Aber im Großen und Ganzen haute es hin. Aber es macht wohl auch einen Unterschied, ob man etwas oder auch mehr als nur etwas schwerer ist als die Maschine, oder die Maschine zweieinhalb-, drei- oder gar noch mehr Mal so schwer wie man selbst. Und wohl auch, ob man mit 40 Sachen unterwegs ist oder mit 140.

Zurück zum Thema: Mit einer einfachen Schlupfkontrolle und davon gesteuerter Bremsdruckverminderung (das allein ist schon aufwendig genug und brauchte am Anfang mehrere Kilo Elektronik) wie beim Auto kommt man bei der Guffel nicht weit, jedenfalls nicht,wenn es auch in der Kurve funzen soll.

Also: Festzustellen, wenn die Guffel aus der Kurve fliegt, ist kein Problem. Das merkt jeder. Die Kunst ist, festzustellen, wenn sie gleich aus der Kurve fliegt. Das können nur sehr versierte Fahrer mit dem Popo, aber ein Kurven-ABS kann es. So ein Kurven-ABS fürs Bike ist ein kleines technisches Wunderwerk, das allerhand Parameter misst und daraus berechnet, wie stark die Bremse zum gegebenen Zeitpunkt wirken darf. Das ist aber eine kniffelige Geschichte und es funktioniert offensichtlich nur mit den genau passenden Reifen richtig.

Im Gelände ist volle Kontrolle über die Bremsen sinnvoll, deswegen sollte sich bei Enduros auch abschalten lassen – sowie bei dieser Yamaha Ténéré 700 World Raid (Bild: Yamaha Pressefoto)

Und damit kann man dann auch in der Kurve sicher bremsen. Laut Untersuchungen der DEKRA, so habe ich vorhin gelesen, kann so ein Kurven-ABS einen erheblichen Prozentsatz der tödlichen Motorradunfälle verhindern. Also ist so etwas wirklich sein Geld wert, wenn man gerne lebt. BTW: Selbst wer nicht mehr gerne lebt, wird noch viel ungerner im Rollstuhl sitzen und sein Brötchen aus der Schnabeltasse lutschen, die ein anderer ihm hält, weil er vom Hals ab querschnittsgelähmt ist und nicht mal mehr das kann. Deswegen üben wir auch ein wenig auf einem Parkplatz, bevor wir im Frühjahr das erste Mal wieder so richtig am Gashahn drehen, machen Fahrsicherheits- und Kurventrainings. Kurzum: Jeder Cent und jede Sekunde, die wir in Sicherheit investieren, lohnt sich.

Vorderrad, Vorder- und Hinterrad oder keines von beiden?

Zurück zum ABS: Ein einfaches ABS ist schon was wert, ein Kurven-ABS umso mehr. Auf der Straße bringt das ABS viel, wenn es die Bremswirkung an Vorder- und Hinterrad individuell doseirt. Es gibt aber Situationen, in denen es zumindest einem guten Fahrer hinderlich ist. Das ist speziell im Gelände der Fall. Bei der neuen Ténéré 700 World Raid gibt es dafür eine Lösung: Ihr ABS hat drei Modi: Für normale Straßen lässt man es auf Vorder- und Hinterrad wirken, auf Schotterpisten nur auf das Vorderrad und wenn man im Gelände volle selbst die volle Kontrolle über die Bremsen haben möchte, kann man es auch ganz abschalten.