Die Geschichte des Motorrads IV
Dies ist der vierte Teil einer mehrteiligen Geschichte, zum ersten Teil geht es hier.
Im dritten Teil der Serie über die Geschichte des Motorrads waren wir in den dreißiger Jahren angelangt. Das Motorrad war schon längst zu einem alltäglichen Verkehrsmittel geworden, erschwinglich zwar nicht für jedermann, aber im Gegensatz zum Auto doch für wesentlich mehr Leute. Es gab eine Fülle von Motorradmarken und es wurden verschiedene Bauarten von Motoren verwendet, von denen einige auch heute noch existieren.
Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Vielzahl von Motorradmarken, wobei die kleineren Hersteller keine eigenen Motoren, sondern zugekaufte Einbaumotoren verwendeten. Es kristallisiert sich einige bestimmte Bauarten heraus, die typisch für eine oder mehrere Marken wurden. So ist der längs eingebaute Boxer bis heute typisch für BMW geblieben. Der längs eingebaute Zweizylinder-V-Motor hingegen war nicht immer typisch für Moto Guzzi. Vor dem Krieg und bis in die sechziger Jahre war es der liegende Einzylinder, an dem man die Maschinen dieser Marke auf den ersten Blick erkannte.

Motorradmarken: Und was ging auf der Insel?
Heute ist man wohl geneigt zu denken, dass der Parallel-Twin, der Zweizylinder-Reihenmotor typisch für die klassischen Engländerinnen ist. Man findet ihn bei legendären Maschinen aus den goldenen fünfziger Jahren des englischen Motorradbaus, wie etwa bei BSA, Norton und Matchless. Auch die aktuellen klassischen Modelle von Triumph verwenden dieser Bauart. Allerdings war das nicht immer so.
Vor und auch die erste Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in England von vielen Motorradmarken Motoren von J.A.P. verbaut. Die typischen Motoren dieser Firma waren stehende Einzylinder und quer einzubauende V2-Motoren mit einem verhältnismäßig kleinen Bankwinkel. Da J.A.P. nur die reinen Motoren ohne Getriebe baute, ergab es sich automatisch, dass Motor und Getriebe getrennte Baugruppen waren. Die Verbindung wurde typischerweise durch eine Primärkette hergestellt.

Die andere Möglichkeit besteht darin, Motor und Getriebe in einem Gehäuse zusammenzufassen. Das ist die so genannte Unit-Bauweise. Diese wurde bei deutschen Motorradmarken bereits vor dem Krieg verwendet. Bei dieser Bauweise laufen Motor und Getriebe in einem gemeinsamen Ölbad. Bei quer eingebauten Ein- und Zweizylinderreihenmotoren sieht das gemeinsame Gehäuse von Motor und Getriebe typischerweise von der Seite aus wie ein Ei. Die Unit-Bauweise eignet sich auch gut für Zweitaktmotoren, da hier nur das Getriebe in einem Ölbad läuft und keine Kompromisse zwischen Motor- und Getriebeöl gemacht werden müssen.

Die klassische Bauweise, ich nenne sie gerne die altenglische, findet man auch bei Harley-Davidson. Da auch der V2-Motor mit dem kleinen Bankwinkel typisch für Motorradmarken aus England ist, handelt es sich bei diesem Motorrädern also nicht um eine eigene „uramerikanische“ Bauweise, sondern um die altenglische. Die Sportster-Modelle jedoch besaßen von Anfang an Unit-Motoren, woran man sie auch leicht von der anderen Linie unterscheiden kann. Es gab aber bis nach dem Krieg auch in Deutschland Motorräder mit einem Antrieb in der klassischen altenglischen Bauweise, zum Beispiel die NSU Konsul.
Der Paralleltwin als Motorradmotor entstand tatsächlich auch in England und zwar bei Triumph. 1937 kam die Triumph Speed Twin 5T heraus, eine Fünfhunderter, bei der erstmalig ein solcher Motor verbaut war. Wenn man so will, kann man sie als Urmutter der teilweise legendären englischen Paralleltwins von verschiedenen Motorradmarken der Nachkriegszeit betrachten.
Eine deutsche Engländerin, eine zöllige BMW und ein Guzzi-V-Vorläufer
Nicht nur englische Hersteller verbauten J.A.P. Motoren. Unter anderem fand sich ein solcher Motor aus Tottenham in einem wenig bekannten deutschen Motorrad der frühen Dreißigerjahre.
Die Brough Superior SS 100 kennt wohl jeder, der sich für alte Motorräder interessiert. Zumal sich der britische Volksheld Thomas Lawrence (1888-1935), der als Lawrence von Arabien bekannt war, mit einem solchen Eisen tot fuhr. SS 100 hieß die Maschine, weil sie die magische Marke von 100 mp/h überschreiten konnte. Tatsächlich garantierte der Hersteller sogar 177 km/h Höchstgeschwindigkeit.

Tornax in Wuppertal baute ein vergleichbares Motorrad, das ebenfalls einen 1000 cm³ V2-Motor von J.A.P. hatte. Dass die Brough Superior SS 100 das schnellste Serienmotorrad ihrer Zeit gewesen sei, ist ein populärer Irrtum: Tornax garantierte für sein Motorrad nämlich eine Höchstgeschwindigkeit von satten 190 km/h. Leider gab es diese herrliche Maschine nicht lange. Die Nazis verboten Importe und so kam Tornax nicht mehr an die Motoren. Von da an musste sich der Wuppertaler Hersteller mit kleineren Motoren der Marke Columbus aus der Fabrik von Horex begnügen. Immerhin gab es dann aber immerhin auch eine 800er, die bereits über eine obenliegende Nockenwelle verfügte.

Man muss sagen, dass dies doch eine andere Liga ist, als die in der der amerikanische Hersteller Indian spielte. Neben Zweizylinder-V-Motoren bauten sie dort ein Motorrad mit einem längs aus Vierzylinder-Reihenmotor. Die ursprüngliche Konstruktion dieser Maschine stammte jedoch nicht aus diesem Hause sondern war durch den Aufkauf der A.C.E. Motor Corporation in den Besitz von Indian gelangt. Die Konzeption war aber auch dort nicht neu gewesen: FN in Belgien baute bereits vor dem ersten Weltkrieg ein Vierzylinder-Motorrad mit längs eingebautem Reihenmotor. Ob man bei A.C.E. von FN abgekupfert hatte, weiß ich allerdings nicht.
Die Indian Four war – zumindest ein gewisse Zeit – offensichtlich das schnellste Fahrzeug, das man damals im Land der unbegrenzten Möglichkeiten für Geld kaufen konnte. Jedenfalls benutzte die Polizei dieses Motorrad, weil man ihm mit nichts davonfahren konnte. Das Modell wurde bis 1942 gebaut und zwar bis zuletzt mit der steinzeitlichen Seitensteuerung.
Eine üble Unverschämtheit erlaubte sich Harley-Davidson im Zweiten Weltkrieg. Die US Army hatte eine Ausschreibung für ein wüstentaugliches Militärmotorrad gemacht. Dieses sollte einen Kardan haben, da Wüstensand eine Motorradkette in Nullkommanix zerschmirgelt. Harley-Davidson ging nun her und kopierte gnadenlos die BMW R 11, es wurden lediglich die deutschen Millimeter-Maße in passende Zoll-Maße umgewandelt und fertig war die Harley-Davidson ZA. Dieses Motorrad war noch dazu ein alter Hut, denn das Vorbild-Modell stammte von 1929 und war die seitengesteuerte Touren-Schwester der R 16, die als Sportmodell bereits hängende Ventile besaß. Eine Zeit lang baute BMW nämlich jeweils ein Tourenmodell mit stehenden und ein Sportmodell mit hängenden Ventilen. Von der zölligen Milwaukee-BMW wurden jedoch nur 1000 Stück gebaut.

Ein ganz ähnliches Motorrad wurde bei Indian, auch aufgrund jener Ausschreibung, unter der Bezeichnung 841 gebaut und zwar auch 1000 Stück. Dieses Motorrad sieht ebenfalls verdächtig nach BMW aus. Nur hatte man hier den Anstand, die Kopie ein wenig zu verschleiern. Man klappte so zu sagen die Zylinder des Boxers ein Stück nach oben klappte. So entstand ein längs eingebauter Zweizylinder-V-Motor. Der erinnert stark an die viel später entstandene Bauform von Moto Guzzi wie wir sie heute noch kennen. Aber natürlich auch wieder stehende Ventile. Etwas anderes konnte man bei Indian ja offensichtlich bis zum unrühmlichen Ende 1953 nicht.
Bei der deutschen Wehrmacht
Wie wir ja bereits erfahren haben, wurden bereits im ersten Weltkrieg Motorräder für Meldezwecke eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg waren sie von Anfang an dabei. Zunächst gab es noch ein Sammelsurium von Marken und Modellen, bei denen es sich um eingezogene Zivilmaschinen handelte. Die Wehrmacht konnte hier offensichtlich aus dem Vollen schöpfen. Wenn auch das Auto im Deutschen Reich noch nicht beim Arbeiter angelangt war, gab es immerhin schon eine sehr große Anzahl von Motorrädern.

Legendär ist natürlich die BMW R 75 mit Seitenwagen, dessen Rad über ein sperrbares Differenzial mit angetrieben wurde. Ein vergleichbares Modell gab es von Zündapp, die KS 750. Aber auch Solomaschinen von BMW und weiteren Marken wurden beschafft. Es wurden bei der Beschaffung von Wehrmachtsmotorrädern wohl so gut wie alle bedeutenden Motorradmarken berücksichtigt.

Solomaschinen wurden von Kradmeldern benutzt. Kradmelder gibt es auch heute noch bei der Bundeswehr und anderen Armeen. Die schweren Seitenwagenmaschinen dienten einer Art von Soldaten, die es zumindest in dieser Form wohl heute nicht mehr gibt: den Kradschützen. Drei Sitzplätze hat ein Seitenwagenmotorrad und drei Mann bilden ein Kradschützen-Team. Sie bedienten gemeinsam ein Maschinengewehr, das ebenfalls auf dem Gespann mitgeführt wurde. Später wurden statt der Seitenwagenmotorräder auch Kübelwagen von VW verwendet. Daher kommt auch die Redensart vom Auto für drei Mann und ein Maschinengewehr.
Wie es weiterging steht (demnächst) im fünften Teil dieser kleinen Artikelserie zu lesen.
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