Legendäre Motorräder mit quer eingebauten großen V-Twins
Sieht man einmal von den japanischen „Harleys für Arme“ – Virago, Intruder & Co, ab, die so um 1980 auf den Markt kamen, denkt man bei großvolumigen V-Motoren vor allem an Harley-Davidson. Dem gleichen Konzept wie Harley folgen bzw. folgten Indian und Victory. Aber es gibt noch mehr Guffeln, die der Devise folgen: „Alles unter einem Liter ist eh‘ nur ein besseres Mokick und viel mehr als zwei Zylinder braucht ein Bike nicht.“
Zurück zu den Amerikanerinnen: Harley-Davidson ist die einzige dieser drei Marken, die auf eine bis heute kontinuierliche Geschichte zurückblickt: Der ursprüngliche Hersteller der Indians, der bis 1923 Hendee Manufacturing Company hieß, ging 1953 ein. Entstanden war dieses Unternehmen übrigens bereits zwei Jahre vor Harley-Davidson und war eine zeitlang sogar der größte Motorrad-Hersteller der Welt.
Die Marke Indian wurde von dem für seine Schneemobile bekannten Unternehmen Polaris Industries 2011 wiederbelebt. Polaris baute bereits seit 1997 unter dem Namen Victory Motorräder im Stil von Harley-Davidson und Indian; diese Marke wurde aber 2017 aufgegeben.
Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach
Der V-Motor geht auf Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach zurück, die ihn gegen Ende der 1880er Jahre schufen – und zwar als Zweizylinder. Als Zweizylinder ist er auch heute noch typisch im Motorradbau; für andere Anwendung wie Auto oder Flugzeug bekam er später vier, sechs, acht und noch mehr Töpfe.
Die Italienerinnen
Vielleicht nicht so bekannt wie Harley und Indian sind die Maschinen mit quer eingebautem V-Twin von Ducati. Sie haben, anders als die meisten, einen großen Zylinderwinkel und der vordere Zylinder zeigt in einem flachen Winkel nach vorne.
Die bekanntesten Italienerinnen mit V-Motor sind aber wohl die von Moto Guzzi, wobei hier das Triebwerk längs eingebaut ist. Allerdings ist diese Bauweise nicht so klassisch-guzzisch wie wohl mancher denkt. Typisch für Moto Guzzi war zunächst der liegende Einzylinder wie er auch noch in der Falcone verbaut ist. Der erste Guzzi-V-Motor war ein quer eingebauter wie später bei Ducati: Die Bicilindrica war in den 30er- und 40er-Jahren eine erfolgreiche Rennmaschine, ist heute aber sehr selten.
Exkurs: Der längs eingebaute V-Twin: tatsächlich echt Guzzi?
Das heute für Guzzi so typische Konzept des längs einbauten V-Twin taucht dort erst viel später auf und ist offenbar auch von jemand anders erfunden worden: Von Indian. Im Zweiten Weltkrieg wünschte sich die U.S. Army ein Motorrad, welches auch in Wüstengebieten einsetzbar war. Es sollte daher einen Kardanantrieb besitzen, weil eine Kette (eh‘ ein neuralgisches Element bei Motorrädern) in staubiger Umgebung besonders problematisch ist.
A propos: Erfunden? Hat da nicht einfach jemand die Zylinder eines BMW-Boxers ein wenig nach oben geklappt? Sieht nämlich ganz so aus, auch wenn bei einem Zweizylinder-Boxer die Kolben auf zwei Kurbelwellenkröpfungen wirken (sonst wäre es ein 180°-V- oder Flachmotor), beim V2 auf ein und diesselbe.
Nun ist ein längs eingebauter Motor günstig für einen Kardanatrieb, weil man nur ein Winkelgetriebe braucht. Indian und Harley-Davidson bauten jeweils eine Nullserie eines solchen Kraftrads. Während die Harley-Davidson XA (Experimental Army) gnadenlos von den deutschen Boxern abgekupfert war, ähnelt die Konstruktion von Indian, die 841, verblüffend den späteren V2-Guzzis, die es aber erst seit 1966 gibt.
Ob man bei Indian wohl nur nicht ganz so unverschämt wie bei Harley von den Krauts abkupfern wollte? Naheliegend ist aber auch die Idee, dass ein längs eingebauter V-Motor eine größere Schräglage in Kurven erlaubt, was ja auch heute ein Argument für die Guzzi gegenüber der BMW ist. Ob man bei der Konstruktion der ersten „typischen“ Guzzi die Indian 841 vor Augen hatte, ist fraglich. Genauso gut kann es sein, dass man – durchaus denkbar – unabhängig von Indian den gleichen Gedanken hatte: nämlich dass Konzept des längs eingebauten Motors kurvengängiger zu machen.
Ein Blick nach England
Den großvolumigen, quer eingebauten V-Motor sieht man wohl als etwas so Ur-Amerikanisches an wie die Big Blocks, die V8 aus den Straßenkreuzern der Fünfziger und ihre Nachfolgern. Auf den ersten Blick fällt bei einer Harley natürlich der V-Motor mit dem typischen, engen Zylinderwinkel von 45° auf. Der rührt der Überlieferung nach übrigens daher, dass der erste Harley-Davidson-Zweizylinder in den gleichen Rahmen passen sollte wie der bereits existierende Einzylinder. Dafür musste er kurz bauen und dass erreichte man eben mit dem engen Bankwinkel.
Schaut man sich eine Harley-Davidson aber mal genauer an, sieht man, dass hier Motor und Getriebe nicht in einem gemeinsamen Gehäuse sitzen, wie man das etwa von japanischen, deutschen und italienischen Maschinen kennt. Das ist nur bei der Sportster der Fall und ein Hauptunterschied zwischen den Motorrädern dieser Gruppe und den „großen“ Harleys. Bei diesen sind nämlich Motor und Getriebe in jeweils einem eigenen Gehäuse wohnhaft.
Diese Weise ist sonst speziell für englische Motorräder typisch. Und auch in Merry Old England gab es legendäre großvolumige V-Twins. Hier sind zwei Namen geläufig: Vincent und Brough Superior.
Brough Superior baute seine großen V-Motoren nicht selbst, sondern verwendete solche von J.A.P. Diese drei Buchstaben sind die Initialen von John Alfred Prestwich, dem Begründer dieser Motorenfabrik, die Anfang es 20, Jahrhunderts, um 1904, auf den Plan trat.
Zunächst wurden sogar ganze Motorräder gebaut, aber schon bald konzentrierte man sich auf die Triebwerke, die an eine ganze Reihe von Firmen geliefert wurden. Sie wurden nicht nur in Motorräder eingebaut, z.B. verrichtet auch an dem ulkigen Morgan Threewheeler ein V2 von J.A.P. seinen Dienst. J.A.P. baute nicht nur Zwei- sondern auch Einzylinder und noch mehr. So gab es einen V8-Luftschiffmotor und einen Zweizylinder-Boxer für Flugzeuge.
Obwohl der Bau von Motorradmotoren schon 1957 eingestellt wurde, waren die Eintopf-Dampfhämmer von J.A.P. auch in den 1960ern noch tonangebend im Bahnsport. Selbst in den 70ern erzielte Egon Müller Speedway-Erfolge mit dem von Otto Lantenhammer getunten J.A.P. und noch in den frühen 80ern hörte man von J.A.P.
Brough Superior
V-Motoren von J.A.P. wurden wie gesagt auch bei Brough Superior verwendet. Die beiden Spitzenmodelle der 20er und 30er Jahre, die SS 80 und die SS 100 waren für die damalige Zeit enorm schnell. Die Firma garantierte – daher auch die Modellbezeichnungen – dass diese Motorräder mindesten 80 bzw. 100 MpH (ca. 130 bzw. 160 km/h) erreichten.
In den 30ern verfügte das zweite Modell der SS 100, die JTOR, bereits über 74 PS, welche sie aus 996 cm³ Hubraum holte. Hier wurden 177 km/h garantiert. Hätte sie also nicht SS 110 heißen müssen? Zum Vergleich: meine Elfie, eine Yamaha XS 1100, hat 1060 cm³ Hubraum, leistet 61 PS und ist dabei durchaus keine lahme Ente, auch wenn man heute 130, 140 PS aus einem Liter Hubraum holt.
Aber Brough Superior baute auch nicht gar so schnelle, preiswertere und zuverlässige Motorräder für Touren. Die 11-50, ein eher braves und zuverlässiges Krad, hatte ebenfalls einen großvolumigen J.A.P.-V-Motor, der mit seinen 1096 cm³ 30 PS leistete und immerhin 144 km/h ging.
Vincent
Während Brough Superior 1940 erst einmal verschwand, gab es die ebenfalls legendäre Marke Vincent auch noch nach dem Krieg. In den 50ern, während des Motorrad-Booms der Wirtschaftswunderzeit waren die 1000er Vincents, die Black Shadow, Black Knight und wie sie alle hießen, der Traum vieler Motorradfahrer; aber nur wenige konnten sie sich leisten.
Damals wurde sogar in einem Motorradfahrer-Lied eine Vincent besungen. Es wird nach der Melodie von „Wohlauf, die Luft geht frisch und rein“ gesungen und handelt vom „Alten Graf von Kotzenstein“ der mit seiner Vincent neben anderem Allotria einen Pferdehändler ins Irrenhaus und alte Tanten mit hochgesträubten Haaren zum Schreien bringt. Nachlesen (und -singen) kann man das in Ernst „Klacks“ Leverkus‘ hinreißendem Buch mit den Motorradgeschichten.
Die Egli Vincent
Noch 1967 und in den Jahren danach machte die Egli-Vincent von sich reden. Der Schweizer Rahmenbauer Fritz Egli baute Vincent-Motoren in einen Rahmen ein, den er selbst konstruiert hatte und fertigte. Er besaß seit seiner Jugend eine Vincent Black Shadow, die er von einem älteren Arbeitskollegen samt der Fahrerausrüstung quasi geerbt hatte. Die hat er übrigens seiner Lebtag in Ehren gehalten und besitzt sie noch heute.
Fritz Egli hatte sich zunächst eine private kleine Motorradwerkstatt eingerichtet; später machte er sein Hobby zum Beruf und wurde mit seiner Werkstatt zur ersten Adresse für Vincent-Fahrer. Als er auch noch anfing mit seiner Black Shadow Bergrennen zu fahren, stieß deren Fahrwerk an seine Grenzen. Also baute er sich seinen eigenen Rahmen und die Egli Vincent war geboren.
Bekannt war Fritz Egli, nebenbei gesagt, auch für seine Motorräder mit Honda- und Kawasaki-Motoren. Als das Motorrad im Laufe des immer noch andauernden Wirtschaftswunders als Sportgerät wiedergeboren wurde, kamen die Japanerinnen bei uns auf den Markt. Die Motoren waren schon damals super, aber zunächst ließen die Fahrwerke zu wünschen übrig. Diese Problem konnte man beheben, wenn der Daumen breit genug für ein Egli-Fahrwerk war.
Die Norvin
Dass wohl auch andere Leute mit dem Originalfahrwerk der Vincent nicht so recht zufrieden waren, sieht man daran, dass es noch eine weitere Variante der Vincent gibt: Die Norvin. Der Name ist aus Norton und Vincent zusammengezogen und bezeichnet einen Norton-Federbett-Rahmen mit einem Vincent-Motor.
In den späten 50ern und frühen 60ern kamen wohl einige Fahrer auf den Gedanken, die unbändige Kraft eines Vincent-Triebwerks mit den bekannt exzellenten Fahreigenschaften eines Norton-Federbettrahmens zu kombinieren. So kam die Norvin, manchmal auch als Vinton – analog zur Namensbildung Triton aus Triumph und Norton – bezeichnet aus verschiedenen Bike-Schmieden.
Harleys für Arme oder bessere Harleys?
Als Anfang der 80er die Harleys auch in Deutschland volkstümlich wurden, sah man wohl auch im Land der aufgehenden Sonne, dass Chopper oder chopperähnliche Tourenbikes gefragt waren. Als erstes kam Yamaha mit einem – was den Hubraum betrifft – eher zaghaften Versuch daher, der XV 750, der Ur-Virago. Schon damals wurde eventuell die ketzerische Frage gestellt, ob das denn nicht vielleicht die bessere Harley sei? Nun vor dem Hintergrund der mittlerweile bekannt hohen Qualität der Reiskocher und dem „Schrauben gehört halt dazu“-Image der Mopeds aus Milwaukee Wisconsin wäre die Frage nicht ganz unberechtigt gewesen.
Während Yamaha der Ur-Virago kleine und größere Schwesterchen und Schwestern hinzugesellte – von 125 bis 1100 cm³ Hubraum (ab der 250er mit V-Twin) und darunter auch das nette Mädchen-Moped XV 535 – sprang auch Suzuki mit der Reihe der Intruder und später Marauder auf den immer schneller rollenden Harley-für-Arme-Zug auf. Schließlich baute auch Honda mit der VT-Reihe solche Motorräder.
Die Japaner sind – oder waren zumindest – dafür bekannt, dass sie zuerst abkupfern, dann verbessern und schließlich die „Originale“ übertrumpfen. Bei der Virago war von Anfang an die Kardanwelle dabei, zu der man sich bei der Mutter aller Motorräder, bei Harley-Davidson bis heute nicht durchringen konnte. Lieber baut man seit dem Evo-Motor jenen stillosen Riemenantrieb ein. Dabei war Porsche maßgeblich an der Entwicklung dieses Triebwerks beteiligt. Und bei denen wäre man auch in puncto Kardanantrieb im richtigen Haus gewesen: Die hatten nämlich bereits für Yamaha einen Motorad-Kardan entwickelt und hätten dies sicher auch für Harley-Davidson erledigt. Aber nein: Es musste der Antrieb von Uromas Nähmaschine sein, den es bei Motorrädern (wie übrigens auch das Elektroauto) zu Kaiser Willies Zeiten gegeben hatte.
Bis heute bekommt man aus Japan dicke V-Twins bis 1900 Kubik, leider zum Teil auch mit dem unsäglichen Nähmaschinen-Antrieb, großenteils aber mit dem einzig vernünftigen Sekundärantrieb für richtige Motorräder: der guten, alten Kardanwelle. Und auch bei Harley hat man die einstigen 1340 cm³ Hubraum schon längst überschritten und mischt in der Klasse der Motorräder über eineinhalb Liter kräftig mit.
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