… und warum es nach links fährt, wenn man nach rechts lenkt…

Ein fahrendes Motorrad bildet ein System, das von selbst im Gleichgewicht bleibt. Um eine Kurve zu fahren, muss man dieses System entsprechend beeinflussen. Und dazu gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten. Beide hängen damit zusammen, dass die sich drehenden Räder eines Motorrads als Kreisel wirken. Dieser Umsatnd bewirkt auch, das ein fahrendes Motorrad nicht umfällt. Und das erklärt auch, warum man dahin fährt, wo man hinguckt...

Als junger Bub mit Fahrrad und Moped wusste ich eigentlich nichts bis kaum etwas über die Fahrphysik eines Zweirades. Nur dass ein Motorrad nicht umfällt. Mehr oder weniger unbewusst fuhr ich dahin, wo ich hin sah, wir legten uns einfach nach Gefühl in die Kurve. Nun, als alter Knacker bin ich jetzt dahinter gekommen, wie diese ganze Geschichte funktioniert. Und warum sie bei einem schweren Motorrad eben etwas anders funktioniert als bei einem Fahrrad oder Moped.

Wie kommt es, dass ein Motorrad nicht umfällt?

Falsche Frage. Es fällt ja doch um, zumindest wenn es steht. Dann ist es nämlich, nicht anders als ein Brett, das man auf eine seiner Schmalseiten gestellt hat, in einem labilen Gleichgewicht. Ein kleiner Stups von der Seite und es fällt um. Das funktioniert so wie man das in der ersten Abbildung sehen kann: Solange das Motorrad senkrecht steht, gibt es nur die Gewichtskraft G, die entlang der Hochachse senkrecht in den Boden geleitet wird.

Sobald das Bike jedoch nur ein kleines Bisschen in Schieflage gerät, teilt sich die Gewichtskraft auf in zwei Komponenten. Zunächst ist da eine Kraft, die weiterhin in der Hochachse wirkt und in eine Kippkraft Fk, die das Moped umkippen will. Diese Kippkraft wird umso größer, je schiefer das Motorrad eh‘ schon steht. Wer schon mal sein Moped umgeschmissen hat, wird das kennen: Bis zu einem bestimmten Winkel kann man es noch halten. Aber darüber hinaus wird die Kippkraft zu groß und die schöne Schüssel plotzt unweigerlich um.

Auf zwei Punkten kann man nur balancieren

Ein Auto steht auf vier Punkten und das ist sogar einer mehr, als man benötigt. Drei Punkte sind mindestens nötig damit etwas stehen bleibt. Ein Trike fällt nicht um, ein Motorrad mit Seitenwagen auch nicht. Beim Fahrrad und beim Motorrad sind es nur zwei Punkte. Und deswegen braucht man den Faulenzer wenn man absteigt. Der stellt nämlich den dritten Punkt dar, der notwendig ist, damit das Ding stehen bleibt, wenn es nicht fährt. Und man muss einen Fuß runter stellen, wenn man anhält. Dabei darf aber der Winkel nicht zu flach werden, sonst – siehe oben…

Wie ein Motorrad umfällt
Blöd: Je schiefer das Bike eh‘ schon steht, desto größer wird auch die Kraft, die es umwerfen möchte… (Bild: Autor)

Anders wird das bekanntlich, wenn sich das Zweirad bewegt. Aber auch nur, wenn die Räder groß und schwer genug sind. Dass ein Motorrad nicht umfällt, liegt also nicht daran, dass das Ding jetzt irgendwie vergisst, auf die Seite zu fallen, weil es damit beschäftigt ist, sich nach vorne zu bewegen, wie mancher vielleicht denkt. Es muss mit den Rädern zu tun haben. Roller für ganz kleine Kinder, die ganz kleine Rädchen haben fallen auch um wenn sie fahren. Umfallen tut auch ein Skibob, obwohl er aussieht wie ein Fahrrad. Nur dass er statt der Räder Kufen hat. Zu so einem Ding gehört immer ein paar kurze Ski. Weil man sich mit den Beinen seitlich abstützen muss, wenn man den Hang hinunter rodelt.

Der Kreisel

Ein Rad, das sich dreht, stellt einen Kreisel dar. Wer schon einmal beim Fahrradflicken ein Rad an den Achstümpfen gehalten und in Drehung versetzt hat, weiß: Das rotierende Rad wehrt sich dagegen, wenn man es drehen oder kippen will. Das liegt daran, dass dieses Rad einen Kreisel darstellt. Und der er möchte gerne seine Drehachse beibehalten. Und deswegen fällt auch ein Kinderkreisel nicht um.

Ein Kreisel macht noch etwas anderes ulkiges: Wenn parallel zu seiner Drehachse eine Kraft außermittig an ihm angreift, ist das so, als wenn diese Kraft nicht an der Stelle angreifen würde, an der sie tatsächlich angreift. Sondern so, als wenn sie um 90° in Drehrichtung weiter angreifen würde.

Kräfte am fahrenden Motorrad

Was das für ein fahrendes Motorrad bedeutet, kann man in der zweiten Abbildung nachvollziehen. Nehmen wir an, die Guffel fährt mit einer bestimmten Geschwindigkeit geradeaus. Wenn sie auch gerade zufällig im Gleichgewicht ist, wird es nicht lange dauern, bis irgendein äußerer Einfluss bewirkt, dass sie ein kleines bisschen auf eine Seite, sagen wir mal, die linke, kippt. Der Schwerpunkt ist jetzt nicht mehr über der Verbindungslinie der beiden Aufstandspunkte der Reifen. Dadurch bekommt die Gewichtskraft, die im Schwerpunkt angreift, einen Hebelarm.

Eine Kraft mit einem Hebelarm ergibt ein Drehmoment – Mk, rot eingezeichnet – und dieses Drehmoment schmeißt die Guffel um. Man kann sich das auch anhand der Kräfte vorstellen. Die rot eingezeichnete Kippkraft Fk ist die, die in der ersten Abbildung mit dem Kräfteparallelogramm als Kippkraft dargestellt ist. Besonders gemein: Je schräger das Moped schon ist, umso länger wird der Hebelarm und umso größer das Drehmoment.

Ein Kreisel fällt nicht um, wenn er sich dreht
An einem Kreisel wirken seltsame Kräfte. Deswegen fällt er auch nicht um, solange er sich schnell genug dreht… (Bild: cafesambuca von pixabay)

Das Vorderrad als Kreisel ist schuld, dass das Motorrad nicht umfällt

Aber wir fahren ja. Man kann nun betrachten, was hinsichtlich des Kippmomentes am Vorderrad passiert. Das dreht sich nämlich und stellt daher einen Kreisel dar. Im Bild wird gedanklich das Kippmoment Mk durch die Kippkraft Fk erzeugt, die man sich im Schwerpunkt angreifend denkt. Man könnte sich aber auch mehrere kleinere Kräfte vorstellen, die an verschiedenen Punkten mit dem jeweiligen Abstand zur Kippachse als Hebelarm angreifen und in der Summe das ganze Kippmoment Mk erzeugen.

Als eine von diesen Teilkräften können wir uns auch die hellblau gezeichnete Kraft Fl‘ vorstellen, die am höchsten Punkt des Vorderrades angreift. Weil sich dieses Vorderrad aber dreht und deswegen einen Kreisel darstellt wirkt diese Kraft nicht an ihrem Angriffspunkt, sondern 90° weiter in Drehrichtung. Und das ist jetzt der vorderste Punkt des Vorderrades. Diese Kraft ist als Fl in einem dunkleren Blau eingezeichnet

Hier gibt es nun aber einen weiteren Hebelarm, nämlich den Abstand dieses Punktes zur Längsachse, also der Mittellinie des Lenkkopflagers. Mithilfe dieses Hebelarm erzeugt die Kraft Fl nun ein Drehmoment um die Lenkachse, welches das Vorderrad einschlägt, in unserer Abbildung also nach links.

Gleichgewicht der Kräfte und Drehmomente an einem fahrenden Motorrad
An einem fahrenden Bike wirken allerhand Kräfte und mehr Drehmomente als nur das an der Kurbelwelle… (Bild: Autor)

Das Bike fährt jetzt also eine Linkskurve. Dadurch entsteht aber eine Zentrifugalkraft, die in der Linkskurve nach rechts wirkt und in der Abbildung als Fz grün eingezeichnet ist. Man kann sich diese Kraft wiederum als im Schwerpunkt angreifend denken. Dann hat man, wie bei der Kippkraft Fk wieder die Höhe des Schwerpunktes über der Verbindungslinie der beiden Aufstandspunkte der Reifen als Hebelarm. Das ergibt wieder ein Drehmoment Ma, das dem Kippmoment Mk entgegengesetzt ist und den Bock wieder aufrichtet. Oder einfacher ausgedrückt: Die Zentrifugalkraft wirkt gegen die Kippkraft.

Das System regelt sich selbst, so dass das Motorrad nicht umfällt

Je größer nun aber die Kippkraft Fk ist, umso größer ist auch die Lenkkraft Fl. Und das von ihr erzeugte Drehmoment Ml. Und entsprechend der Lenkeinschlag, der dadurch entsteht. Je mehr also das Bike kippen will, desto stärker wird das Vorderrad eingeschlagen und umso größer auch die Zentrifugalkraft, die es wieder aufrichtet.

Die Zentrifugalkraft schießt nun aber über das Ziel hinaus und lässt das Bike über die senkrechte Lage hinaus nach rechts kippen. Jetzt passiert aber das gleiche wie vorher, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen. Aufgrund der Kreiselwirkung des Vorderrades dreht die Kraft, die es eigentlich kippen will, es nach rechts, sodass jetzt eine Rechtskurve gefahren wird. Dabei wirkt eine Zentrifugalkraft nach links, die das Bike auch wieder aufrichtet. Und das ist der Grund, warum ein fahrendes Motorrad nicht umfällt.

Das Fahrrad in der Straßenbahnschiene

Wer schon einmal mit dem Fahrrad in eine Straßenbahnschiene geraten ist, der weiß was dann passiert: Man fliegt auf die Fresse. Mit dem Motorrad passiert das eher nicht, weil die Reifen zu breit sind, um in die Straßenbahnschiene zu kommen. Trotzdem sind Straßenbahnschienen auch für Motorradfahrer gefährlich, weil sie glatt sind.

Versenkte Straßenbahnschienen in einer Straße
Straßenbahnschienen sind ein übel Ding für Fahrradfahrer – und auch für Motorradfahrer nicht ganz ungefährlich. (Bild: GoranH von pixabay)

Warum man mit dem Fahrrad nicht in der Straßenbahnschiene fahren kann, sollte uns nun auch klar sein: Ein Zweirad kann nie genau geradeaus fahren. Es muss immer diese kleinen Schlangenlinien machen, um sich selbst zu stabilisieren. Und das geht eben nicht in der Straßenbahnschiene.

Genauso wurde man die Guffel umschmeißen, wenn man beim Bremsen beide Räder blockiert. Ein Auto wird dabei nur unlenkbar, dass Bike fällt um, weil stillstehende Räder eben keine Kreisel sind.

Wie man Kurven mit dem Fahrrad fährt…

Man kann nun das Kippen eines Zweirades durch Gewichtsverlagerung zur Innenseite der Kurve, die man fahren möchte, vorsätzlich herbeiführen. Und dann passiert genau das gleiche, wie wenn das Fahrzeug sich von selber ein wenig auf eine Seite neigt: Als Folge der Kreiselwirkung des Vorderrades wird dieses eingeschlagen. Wenn wir mit der Gewichtsverlagerung dagegenhalten, richtet sich das Bike auch nicht mehr auf und wir fahren weiter in der Kurve.

Durch Dosieren der Gewichtsverlagerung können wir so einen Gleichgewichtszustand in einer bestimmten Schräglage erreichen. Und fahren dann konstant auf einem Kreisbogen mit einem bestimmten Radius – und somit unsere gewünschte Kurve. Durch Veränderung unserer Gewichtsverlagerung können wir den Radius auch kleiner oder größer werden lassen, um in die Kurve hinein und wieder aus ihr heraus fahren zu können.

Es ist nun schon zu lange her, dass ich Fahrradfahren gelernt habe, als dass ich mich erinnern könnte, ob und was ich mir dabei gedacht habe. Vermutlich denkt man sich dabei überhaupt nichts, schon gar nicht als vier- oder fünfjähriges Kind. Aller Wahrscheinlichkeit nach bekommt man instinktiv heraus, wie man sein Gewicht verlagern muss und macht es unbewusst richtig.

… und mit dem Motorrad

Das Kurvenfahren durch Gewichtsverlagerung funktioniert mit dem Fahrrad sehr gut. Vom Prinzip her funktioniert es auch mit einem Motorrad. Zumindest wenn Ottfried Fischer auf einer Quickly fährt. Anders wäre das aber, wenn Tina Turner auf einer 1500er Goldwing sitzen würde.

Ottfried Fischer stellt mit seiner Masse den deutlich größeren Teil der Gesamtmasse des Systems Ottfried-Quickly. Verlagert er sein Körpergewicht, wandert der Schwerpunkt dieses Systems deutlich aus. Und dadurch legt die Fuhre sich in die Kurve.

Motorradrennfahrer mit starker Schräglage in einer Kurve: Die Physik sorgt dafür, dass das Motorrad nicht umfällt.
Kurven sind eine Sache des Kräftegleichgewichts… (Bild: stevemorrissey von pixabay)

Tina Turner ist aber nur einen Bruchteil so schwer wie eine Goldwing. Die kippt daher kaum zur Seite, wenn Tina ihr Popöchen ein wenig verschiebt. Anders ausgedrückt: Das mit der Gewichtsverlagerung um in eine Kurve zu gehen, funktioniert umso besser, je schwerer der Mensch im Vergleich zur Maschine ist.

Trotzdem kann der kleinste und zierlichste Mensch das größte und schwerste Motorrad bewegen. Er muss nur groß genug sein, um mit den Händen an die Lenkergriffe und mit den Füßen auf den Boden zu kommen. Damit er bei stehendem Motorrad nicht umfällt, wenn er fährt, bleibt das Bike ja von allein im Gleichgewicht.

Und wie geht das nun?

Jaaa, das ist nämlich das, was es mit dem berühmten Lenkimpuls in die Gegenrichtung auf sich hat: Wenn man am rechten Lenkerende zieht, fährt die Guffel nach links. Und umgekehrt. Wieso das denn?

Die Antwort ist wesentlich einfacher, als die auf die Frage, warum ein Motorrad nicht umfällt solange es fährt – wenn man kapiert hat, warum es nicht umfällt: Mit dem kleinen Lenkimpuls, zum Beispiel durch Ziehen am rechten Lenkerende, schlagen wir das Vorderrad ein wenig ein. Natürlich fährt die Guffel jetzt zunächst in diese Richtung. Dabei entsteht aber eine Zentrifugalkraft in die Gegenrichtung.

Weil wir jetzt aber nicht die Schräglage haben, die es bräuchte, um das Moped auf dieser Kurve zu halten, kippt es nach links. Und dadurch haben wir den gleichen Effekt, wie wenn wir das Moped durch Gewichtsverlagerung nach links legen: Es entsteht eine Kippkraft und es passiert das gleiche, wie wenn das Motorrad beim Geradeausfahren von irgendeinem kleinen äußeren Einfluss ein wenig nach links gekippt ist: Es fährt eine Linkskurve.

Das Prinzip funktioniert auch, wenn wir bereits in der Kurve fahren: Ziehen wir am inneren Lenkerende, geben wir einen kleinen Lenkimpuls nach innen. Der Radius wird kleiner und dadurch die Fliehkraft größer. Und die fängt an, die Schüssel aufzurichten und dadurch einen größeren Kurvenradius zu fahren. Wichtig ist dabei aber, dass der Reifen mitmacht und wir nicht bereits am Limit des Grips sind. Umgekehrt können wir durch Ziehen am äußeren Lenkerende den Kurvenradius verkleinern. Und auf diese Weise kann eben auch ein zierlicher Mensch ein schweres Motorrad sicher bewegen. Man muss es nur gelernt und geübt haben.

Blickrichtung in der Kurve

Und warum fährt man dahin, wo man hin guckt? Auch ganz einfach: Wenn wir uns – am besten nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem Oberkörper – in eine Richtung drehen, verlagern wir dabei unser Gewicht in diese Richtung und damit leiten wir eine entsprechende Kurve ein. Deswegen spielt auch die Blickführung in der Kurve eine wichtige Rolle.