Man muss sich auf den Gummi verlassen können…
Unter uns Bikern gibt es einen Spruch, der besagt das Motorradfahren wie Sex sei: Es macht einen Heidenspaß, aber man muss sich auf den Gummi verlassen können. Tatsächlich sind die Motorradreifen ein Teil des Fahrwerks, das im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Bedeutung hat.
Es gab einmal einen Werbeslogan von Pirelli, der besagte, dass die Reifen „die Beine Ihres Autos“ seien. Das gleiche kann man natürlich auch über den Motorradreifen sagen. Wobei ich den Reifen eher mit den Schuhen als mit den Beinen vergleichen würde. Jeder Motorradfahrer sollte ein zu mindestens grundlegendes Wissen über die Reifentechnik besitzen. Wenn wir unsere Reifen natürlich auch nicht selbst machen, so wählen wir sie aber aus und sollten vor allem wissen, wie wir sie behandeln. Und welche Tücken sie haben.
Motorradreifen und Autoreifen
Die Entwicklung der Motorradreifen ging parallel zu der des Autoreifens. Die grundlegende Technik ist ja die gleiche. Im Anfang standen für Auto und Motorrad ja zunächst die eisenbereiften Holzspeichenräder vom Wagner zur Verfügung. Das Auto wies als „pferdeloser Wagen“ im Anfang auch sonst große Ähnlichkeit mit der Pferdekutsche auf. Aber auch das erste Zweirad, die Laufmaschine des Herrn von Drais sowie das erste Motorrad, der Reitwagen von Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach verwendeten solche Räder.
Bei den zunächst noch geringen Geschwindigkeiten von Motorfahrzeugen ging das auch einigermaßen an. Aber schon bald stieß das eisenbereifte Holzrad an seine Grenzen. Nicht nur der Kontakt zur Fahrbahn, sondern auch der Fahrkomfort reichten bei höheren Geschwindigkeiten nicht mehr aus. Und so kam der Gummi ins Spiel.
Vollgummireifen und erste Luftreifen
Gummi wurde ursprünglich aus Naturkautschuk hergestellt. Das ist der Saft eines tropischen Baumes aus Südamerika. Man kam ziemlich schnell darauf, dass sich dieser Saft nutzen lässt. Zum Beispiel konnte man Textilien damit beschichten, um sie wasserdicht zu machen. Zum modernen Gummi für Auto- und Motorradreifen war es aber noch ein weiter Weg.
Der Kautschuk polymerisiert zwar, aber es entsteht dabei kein besonders strapazierfähiger Werkstoff. Erst wenn man die Molekülketten mit Schwefelbrücken sozusagen aussteift, entsteht der eigentliche Gummi. Das entsprechende Verfahren heißt Vulkanisierung oder Vulkanisation und wurde im 19. Jahrhundert erfunden. Die Härte des Werkstoffs, der dabei entsteht, lässt sich gut steuern. Unter dem Namen Ebonit war ein knallhartes Hartgummi verbreitet, aus dem man früher viele Dinge machte, die heute aus allen möglichen harten Kunststoffen sind. Auch auch heute noch macht man bestimmte Dinge, wie zum Beispiel die Mundstücke von Tabakspfeifen, aus Ebonit.
Man kann aber auf diese Art auch, sagen wir mal, mittelharte, elastische Gummisorten herstellen, die sich für Auto- und Motorradreifen eignen. Durch die Zugabe von Ruß – also amorphem Kohlenstoff – lässt sich die Abriebfestigkeit des Reifengummis erheblich steigern.
Zunächst war für die Reifeprodfuktion unbedingt Naturkautschuk möglich. Hier waren Länder mit Kolonien in den Tropen klar im Vorteil. Deutschland hatte so etwas nicht und daher kommt es wohl, das hier bereits 1926 der erste Kunstkautschuk, das BuNa entwickelt wurde. Der Rohstoff war Braunkohle, der Kunstkautschuk also ein Produkt der Kohlenstoffchemie. Während Gummi aus Naturkutschuk eigentlich ein halbsynthetischer Stoff ist, kann man Gummi aus Kunstkautschuk als „richtigen“ Kunststoff ansehen.
Schon Vollgummireifen waren ein Fortschritt gegenüber dem eisenbereiften Holzrad. Sie wurden bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein für Lastwagen verwendet. Als Auto- und Motorradreifen setzte sich aber schnell der Luftreifen durch. Unter dem Namen Pneumatik oder kurz Pneu war er bald Standard für Motorfahrzeuge.
Bereits 1845 hatte ein gewisser Robert William Thomson den Luftreifen erfunden. Damals gab es aber noch keine wirkliche Verwendung dafür. So geriet die Erfindung in Vergessenheit, obwohl sie gut funktionierte. 1888 erfanden dann John Dunlop und Edouard Michelin den Luftreifen erneut. Diesmal hatte die Erfindung Erfolg, denn sie war zunächst für das Fahrrad gedacht, dass damals begann zu einem verbreiteten Verkehrsmittel zu werden.
Die ersten Motorradreifen
Wenn man sich frühe Motorräder ansieht, erkennt man deutlich, dass das Lieblingsspielzeug des echten Mannes vom Fahrrad abstammt. Also war es naheliegend, den Luftreifen, wie er beim Fahrrad verwendet wurde, auch beim Motorrad einzusetzen. Tatsächlich hatte das erste in Serie gebaute Motorrad von Hildebrand und Wolfmueller bereits Luftbereifung.
Konstruktionsbedingt musste man die ersten Luftreifen knallhart aufpumpen, damit sie auf der Felge blieben. Dadurch war der Fahrkomfort noch nicht so viel besser als bei Vollgummireifen. Eine wichtige Erfindung war daher der Niederdruckreifen, der mit einem Draht verstärkt war und millimetergenau gefertigt wurde. Damit reichte nun ein Reifendruck von 1,5-2 bar.
Motorradreifen sind technisch natürlich den Autoreifen ähnlich, unterscheiden sich aber in der Form. Ein Autoreifen hat eine zylindrische Lauffläche, weil das Auto aufrecht durch Kurven fährt. Die Lauffläche bei Motorradreifen muss ballig sein, also der Teil eines Torus oder tonnenförmig, weil man sich mit einem Zweirad ja in die Kurve legt.
Der grundsätzliche Aufbau eines Niederdruckluftreifens stammt aus der damaligen Zeit: Um die Ausdehnung des elastischen Gummis zu begrenzen, wurde es mit Gewebe gewissermaßen armiert. Die Grundstruktur des Reifens, die Karkasse, machte man aus über Kreuz liegenden Gewebelagen. Darauf saß dann die Lauffläche aus Gummi. Zunächst hatten die Reifen noch kein Profil, waren also Slicks.
Das Profil
Bei einem modernen Auto- oder Motorradreifen dient das Profil nicht, wie mancher vielleicht annimmt, der Verzahnung mit dem Untergrund. Das tut es höchstens auf Matsch oder Schnee. Mit einem modernen Motorradreifen sollte man aber lieber nicht auf so einem Untergrund fahren. Auf Asphalt und Beton hat bei trockenem Wetter ein arschglatter Reifen die beste Bodenhaftung. Bei solchen Verhältnissen werden im Rennsport tatsächlich Slicks verwendet. Das Profil eines Straßenreifens dient sowohl beim Auto als auch beim Motorrad dazu, Wasser von der Fahrbahn zu verdrängen, damit kein Aquaplaning entsteht.
Den ersten Reifen mit Profil gab es 1904 von Continental. Lange Zeit waren, sieht man einmal vom Rennsport ab, beim Motorrad vorne und hinten die gleichen Reifen vorgesehen. Das Profil war am Anfang recht einfach, wurde aber ständig weiter entwickelt. Sieht man sich Motorräder aus der Vorkriegs- und der Wirtschaftswunderzeit an, fällt das relativ grobe Profil der damaligen Reifen auf. Für Mofa und Moped gab es solche Reifen noch in den siebziger Jahren.
Was mir auffiel, als ich anfing, moderne schwere Motorräder zu fahren: Mit dem Mofa, dem Moped und meiner Falconette konnte man praktisch auf jedem Untergrund fahren. Natürlich nicht mit der gleichen Bodenhaftung wie auf Asphalt. Solche Reifen wie die auf meinen ersten Guffeln waren früher auch auf richtigen Motorrädern. Ein modernes Straßenmotorrad jedoch fährt sich mit der heute üblichen Bereifung auf Gras oder Kalkwegen extrem unsicher.
Reifenprofile einst und jetzt
Vor dem Krieg und auch nach dem Krieg noch lange bestanden lange nicht alle Straßenoberflächen aus Asphalt oder Beton. Verbindungsstraße Zwischenorten auf dem Land waren auch lange nach dem Krieg nicht selten einfache Kalkwege wie man sie bei Feldwegen und Forststraßen findet. Bis in die Fünfzigerjahre war das Motorrad ein Fortbewegungsmittel, mit dem man überall hinkommen wollte, eben auch auf schlechten Straßen.
Heute wird ein Straßenmotorrad als Spaßgerät praktisch nur auf Asphalt und Beton bewegt. Wer auf schlechten Wegen oder gar im Gelände fahren will, benutzt Enduros. Und dafür gibt es natürlich auch die passenden Reifenprofile.
Radialreifen und Gürtelreifen
Zunächst wurden die Gewebeeinlagen der Karkasse schräg zur Laufrichtung und über Kreuz eingebaut. Das waren die so genannten Diagonalreifen. In den 60ern des vorigen Jahrhunderts kamen dann Reifen auf, bei denen das Gewebe aus Stahldraht besteht und senkrecht zur Laufrichtung verbaut ist. Außerdem ist es durch zwei bis drei Schichten Stahldraht verstärkt. Das sind die sogenannten Radial- oder Gürtelreifen.
Ein Radialreifen erwärmt sich weniger stark im Betrieb als ein Diagonalreifen. Das bedeutet auch, dass er leichter laufen muss. Schließlich muss die Energie, die den Reifen erwärmt nach dem Energieerhaltungssatz irgendwo her kommen. Natürlich stammt sie aus der Motorleistung und schmälert daher die Fahrleistungen bzw. erhöht den Verbrauch.
Als ich ein Kind war und sie aufkamen, war viel von diesen Gürtelreifen die Rede. Heute hört man kaum noch davon, weil sie der selbstverständliche Standard und damit kein besonderes Merkmal zur Anpreisung mehr sind. Diagonalreifen werden heute höchstens noch bei Oldtimern verwendet.
Dein Motorradreifen und Du
Natürlich werden auch die Reifenprofile ständig weiter entwickelt. Sicherlich kann man über den „richtigen“ Motorradreifen genauso streiten, wie das Jäger von alters her über Kaliber und Patronen tun. Viel wichtiger jedoch ist der richtige Umgang mit dem Motorradreifen. Moderne Reifen kleben richtiggehend am Untergrund. Es ist erstaunlich, was für Schräglagen und Kurvengeschwindigkeiten heute möglich sind. Aber trotzdem gibt es Grenzen und vor allen Dingen muss man wissen, was man dem Gummi unter den jeweiligen Umständen zumuten kann.
Als ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre richtiges Winterwetter immer seltener wurde, fragten sich Autofahrer, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, das Fahrzeug im Herbst mit Winterreifen auszurüsten. Natürlich schrillten da bei den Reifenmachern sämtliche Alarmglocken. Argumente für den Winterreifen im schneelosen Winter waren gefragt. Ein Winterreifen, so wurde argumentiert, sei nicht nur bei Matsch, Schnee und Eis sinnvoll. Vielmehr sei seine Gummimischung auch den niedrigeren Temperaturen im Winter angepasst.
Tatsächlich wird bei Winterreifen für Autos ein weicherer Gummi verwendet. Es ist auch durchaus augenfällig, dass Winterreifen sich schneller abnutzen als die härteren Sommerreifen. Weiche Reifen kleben besser an der Straße, nutzen sich aber schneller ab. Das Extrem sind Rennreifen, die nach einem Rennen hinüber sind. Auf trockener Straße hat man wie bereits erwähnt mit einem ganz glatten Reifen, einem Slick, den besten Grip. Im Straßenverkehr ist das aber verboten; wie beim Auto ist auch bei Motorradreifen eine Mindestprofiltiefe vorgeschrieben.
So gesehen ist der Reifen auf trockener Straße also am besten, wenn er demnächst runter muss. Schade, aber man kann ja mit dem Bike oder dem Auto überraschend in den Regen kommen und dann ist das Profil lebenswichtig. Im Rennbetrieb werden Slicks selbstverständlich sofort gegen Regenreifen ausgetauscht, wenn es anfängt zu regnen.
Die Tücken des Motorradreifens
Wie gesagt, ist es beim Motorradfahren wichtig, dass man sich auf den Gummi verlassen kann. Dazu muss man aber auch seine Grenzen kennen. Zum Beispiel muss ein neuer Reifen zunächst sozusagen eingefahren werden. Weil man in der Reifenfabrik ein Trennmittel verwendet, damit der Reifen gut aus der Backform geht, ist ein neuer Reifen etwas schmierig. Erst wenn man ein wenig gefahren ist und die Lauffläche aus blanken Gummi besteht, hat er seinen vollen Grip. Das Trennmittel soll auch die Alterung des Reifens bis zur Ingebrauchnahme ausbremsen.
Ähnlich ist es, wenn ein Reifen längerer Zeit nicht gefahren wurde. Wer schon einmal probiert hat, mit einem Radiergummi zu radieren, der eine längere Zeit nicht benutzt würde, kennt das: Das Ding radiert zunächst überhaupt nicht, denn die Oberfläche ist glatt und hart. Das gleiche passiert mit einem Reifen. Man muss ihn erst wieder sozusagen rau fahren, bis er wieder gescheit funktioniert. Das ist ein weiterer Grund, es nach der Winterpause langsam angehen zu lassen.
Wer sein Bike auch im Winter benutzt, hat dieses Problem im Frühjahr nicht. Beim kalten Wetter im Winter hat der Reifen aber auch weniger Grip, sodass man auch hier verhaltener fahren muss als im Sommer. Natürlich ist das auch an sonnigen, aber kalten Tagen zu Beginn und Ende der Saison der Fall. Gegen das kalte Wetter kann man sich anziehen, mit dem schlechteren Grip bei Kälte muss man leben.
Reifen nutzen sich nicht nur ab, sie altern auch. Auf meiner Elfi waren Reifen mit einem astreinen Profil, als ich sie kaufte. Da der Vorbesitzer sie aber in den letzten Jahren kaum gefahren hatte, waren sie alt und wurden bei der HU moniert. Mit der Zeit versprödet der Gummi und kann Risse bekommen. Außerdem verschlechtert sich der Nassgriff. Daher muss man auch beim Neukauf von Reifen darauf achten, nicht etwa einen Satz zu bekommen, der schon jahrelang im Lager herumgelegen ist.
Wie alt ist der Motorradreifen?
Genauso wie auf Autoreifen steht heute auf Motorradreifen die Produktionswoche. Das ist die vierstellige Zahl hinter dem Kürzel „DOT“. Die ersten beiden Ziffern verraten dir die Kalenderwoche, in der der Reifen hergestellt wurde. Die beiden letzten stehen für das Jahr. Steht da zum Beispiel DOT 4521 stammt der Reifen aus der KW 45 des Jahres 2021.
Laut ADAC und einigen Gerichtsurteilen gilt ein Reifen bis zu einem Alter von zwei Jahren als fabrikneu. Laut Bundesverband für Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) soll er das sogar drei Jahre sein. Sagte der gärtnernde Bock. Laut den Herrschaften soll er dann aber auch immer noch bis zu einem Alter von fünf Jahren „neu“ sein. Der Dampfkesselüberwachungsverein meint hingegen, dass ein Motorradreifen nicht älter als 5-6 Jahre sein soll. Wem es liegt, der könnte also beim Preis feilschen, wenn der Reifen älter als zwei Jahre ist.
Welchen Reifen wo kaufen?
Apropos älterer Reifen: Da drängt sich die Frage auf, ob man seine Motorradreifen bei einem Händler kaufen sollte, bei dem sie jahrelang im Lager herumliegen. Das deutet nämlich darauf hin, dass der betreffende Betrieb nicht sehr oft Motorradreifen verkauft und montiert.
Man kann als Biker natürlich nicht alles und noch etwas mehr über Reifen wissen. Der kompetenten Beratung durch den Fachhändler kommt hier also ein hoher Stellenwert zu. Wer viele Motorradreifen verkauft, sollte da kompetent sein. Es lohnt sich also, andere Motorradfahrer zu fragen, wo sie ihre Reifen kaufen. Ein Vorteil dürfte es auch sein, wenn der Fachverkäufer selbst Motorrad fährt. Vor dem Hintergrund dürfte auch die Motorradwerkstatt des geringsten Misstrauens keine schlechte Idee sein: Dort sollte ja geballte Motorradbegeisterung und entsprechender Sachverstand vorhanden sein. Und übers Internet kann die Werkstatt heutzutage ja jeden Reifen problemlos bestellen.
Meine Elfi braucht im Moment auch gerade ein paar neue Schuhe. Das ist vielleicht dem einen oder anderen schon anhand des einen Bilds beim Artikel über ihr neues Nummernschild aufgefallen. Eine neue Kupplung braucht sie auch und beides soll nun aufs Frühjahr erledigt werden. Gerade für neue Reifen dürfte das Frühjahr ein guter Zeitpunkt sein. Bis man mit dem Bike dann so weit wieder warm geworden ist, dürften auch die Reifen ihren Grip wieder erreicht haben.
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