Verbinden mit Gewinden

Das Gewinde ist eines der wichtigsten und häufigsten Maschinenelemente. Und vermutlich das häufigste und wichtigste Verbindungselement. Hauptsächlich finden wir Gewinde am Motorrad an Schrauben verschiedener Arten aber es begegnet uns auch an allen möglichen anderen Bauteilen. Gewinde sind nützlich, der moderne Maschinenbau wäre ohne sie wohl kaum denkbar. Aber sie können auch als Quelle qualitativ hochwertigen Ärgers fungieren. Ein wenig Grundwissen über Gewinde gehört für den zünftigen Schrauber unabdingbar dazu.

Schrauben und Gewinde am Motorrad - Schraubensortiment
Schrauben und Gewinde am Motorrad sind des Schraubers täglich Brot. Wohl dem, der da über eine gutsortierte Schraubensammlung verfügt…. (Bild: Autor)

Nicht umsonst nennt man jemanden, der an Autos und/oder Motorrädern herumpfriemelt, einen Schrauber. Und seine Tätigkeit Schrauben. Tatsächlich verbringt man beim Schlossern an Guffel oder Gummirutsche einen erheblichen Teil der Zeit mit dem Hinein- und Herausdrehen von Schrauben. Grund genug also, sich ein paar Gedanken über Gewinde am Motorrad zu machen.

Das Gewinde am Motorrad: Eine aufgewickelte schiefe Ebene

Ein Gewinde ist eigentlich nichts anderes als eine aufgewickelte schiefe Ebene. Oder ein aufgewickelter Keil. Ein Keil ist im Grunde auch nichts anderes als eine schiefe Ebene. Und damit eine sogenannte einfache Maschine, die das Verhältnis von Kraft zu Weg verändert. Der Hebel und die lose Rolle erfüllen den gleichen Zweck. Unser Physiklehrer in der guten, alten zweijährigen Berufsfachschule Metall erklärte uns das, was er die Goldene Regel der Mechanik nannte: Was man an der Kraft spart, muss man in den Weg stecken!

Gewinde am Motorra: Keil
Ein Keil macht aus einem großen Weg und einer kleinen Kraft einen kleinen Weg und eine große Kraft… (Bild: Autor)

Im Bild sieht man: Wenn man den Keil ein bestimmtes Stück hinein treibt, drückt er die beiden Seiten des Spalts ein kleineres Stück auseinander. Dafür ist die Kraft, mit der die beiden Seiten auseinandergedrückt werden, entsprechend größer, als die, mit der man den Keil eintreibt.

Zum langen Weg gehört die kleine Kraft und zum kurzen die große. Bei einem Gewinde ist der kurze Weg der, um den sich die Schraube hinein oder heraus bewegt, wenn man sie einmal dreht. Den langen findet man nicht ganz so leicht. Beim Schrauben ist nämlich immer noch ein Hebel im Spiel, das ist die wirksame Länge des Schraubenschlüssels.

Gewinde am Motorrad: Drehmoment und Kraft am Gewinde
Das Drehmoment M, welches man mit dem Schraubenschlüssel erzeugt, bewirkt mit dem halben Flankendurchmesser als Hebel die Kraft, welche die Mutter den Gewindegang hinaufschiebt. (Bild: Autor)

Aber zunächst mal zu dem kurzen Weg am Gewinde: In der obigen Abbildung kann man erkennen, dass durch den Abstand des Gewindeganges zur Gewindeachse eine Hebel entsteht. Dieser Hebel macht aus dem Drehmoment, mit dem man das Gewinde hinein dreht, eine Kraft. Die denken wir uns als in der Mitte der Gewindeflanke angreifend, also am Flankendurchmesser des Gewindes.

Kräfte und Hebelarme beim Gewinde am Motorrad

Diese Kraft entspricht der Kraft, mit der man etwas eine schiefe Ebene hinaufschiebt oder einen Keil eintreibt. Bei einer Schraubenumdrehung wirkt sie entlang eines Weges, der dem Umfang am Flankendurchmesser entspricht. Das ist der große Weg mit der kleinen Kraft. Der kleine Weg ist nun der Weg, den die Schraube hinein gedreht wurde; bei einer Umdrehung also einmal die Steigung des Gewindes. Zu diesem viel kleineren Weg gehört nun die entsprechend größere Kraft, mit der die Schraube angezogen wird.

Die Kraft, mit der sozusagen die Mutter die schiefe Ebene des Gewindes hinaufgeschoben wird, entsteht natürlich durch die Kraft, mit der wir den Schraubenschlüssel drehen. Der Kraftarm ist dann der Abstand zwischen der Achse des Gewindes und dem Angriffspunkt unserer Hand am Schraubenschlüssel. Der – viel viel kürzere – Lastarm ist der halbe Flankendurchmesser unseres Gewindes.

Dieses Innenverhältnis brauchen wir jedoch gar nicht so genau zu betrachten, denn die Goldene Regel der Mechanik gilt auch für das Gesamtsystem: Aus dem großen Weg, den unsere Hand am Schraubenschlüssel bei einer Umdrehung zurücklegt, wird der kleine Weg, der der Steigung des Gewindes entspricht. So weit dreht sich nämlich die Schraube bei einer Umdrehung hinein.

Gewinde erzeugen große Kräfte

Ein Beispiel: Ein metrisches Regel-Spitzgewinde M 6 – also ein „ganz normales Sechser Gewinde“ – hat eine Steigung von 1 mm. Nehmen wir mal an, der Abstand zwischen dem Angriffspunkt unserer Hand am Schraubenschlüssel und der Gewinn der Achse wäre 150 mm, also 15 cm in normalem Deutsch. Der Durchmesser beträgt dann 30 cm und der Umfang des Kreises, den wir bei einer Schraubenschlüsselumdrehung zurücklegen, etwa einen Meter. Dabei drehen wir die Schraube lediglich einen einzigen Millimeter hinein.

Gewinde am Motorrad: Spitzgewinde an Gewindestange
Spitzgewinde – hier an einer Gewindestange – werden vor allem als Befestigungsgewinde verwendet (Bild: Autor)

Dementsprechend ist die Kraft, mit der die Schraube angezogen wird, rechnerisch 1000 mal so groß wie unsere Handkraft. Natürlich bleibt ein Teil unserer Handkraft in der Reibung zwischen Außen-und Innengewinde, also zwischen Schraube und Mutter. Trotzdem ist das Übersetzungsverhältnis beim Schrauben gewaltig. Wenn wir uns diese Größenordnung vorstellen, wird uns klar, warum man vor allem kleinere Schrauben sehr leicht abreißt, wenn man nicht aufpasst.

Arten von Gewinden

Soviel also zu der grundsätzlichen Wirkungsweise von Gewinden. Es gibt nun verschiedene Arten von Gewinden. Man kann sie nach dem Einsatzzweck einteilen, in Befestigung -und Bewegungsgewinde. Wie der Name schon sagt, dienen Befestigungsgewinde dazu, Dinge zu befestigen. Man findet sie vor allem an Schrauben. Mit Bewegungsgewinden bewegt man Dinge, zum Beispiel Schlitten an Werkzeugmaschinen oder den Gleitbacken eines Schraubstock.

Man teilt Gewinde aber auch nach der Form der Gewindegänge ein. Die wichtigsten Formen sind Spitzgewinde, Trapezgewinde und Rundgewinde. Spitzgewinde sind vermutlich am leichtesten herzustellen, dafür aber sehr empfindlich. Die scharfe Kante des Gewindegangs kann leicht beschädigt werden und ist auch gegen Abnutzung sehr empfindlich. Auch kann sich hier in dem engen, spitzigen Gewindegründen leicht Schmutz absetzen.

Gewinde am Motorrad: In der Regel Spitzgewinde.

Eine Schraube wird im Extremfall einmal in ihrem Leben zu- und nie wieder aufgemacht. Und das war’s dann schon. Auch wenn man sie bei Reparatur- oder Wartungsarbeiten mal aufmachen muss, geschieht das (hoffentlich) nicht so oft. Gewinde am Motorrad sind fast immer Spitzgewinde, weil Befestigungsgewinde.

Trapezgewinde am Maschinenschraubstock
Trapezgewinde – hier die Spindel eines Maschinenschraubstocks (für die Bohrmaschine) – werden vor allem als Bewegungsgewinde eingesetzt.(Bild: Autor)

Beim Trapezgewinde ist die eine empfindliche, spitzwinklige Kante zwischen den Gewindeflanken durch zwei stumpfwinklige ersetzt. Die sind nicht so empfindlich gegen Beschädigung und Verschleiß wie eine spitzwinklige. Auch setzt sich in den stumpfwinkligen Ecken am Gewindegrund Dreck nicht so leicht fest wie beim Spitzgewinde. Das Trapezgewinde ist daher robuster und wird vor allem als Bewegungsgewinde verwendet. Es kommt nämlich besser damit zurecht, wenn es ständig bewegt wird, als ein Spitzgewinde. Gewinde am Motorrad sind wohl so gut wie nie Trapezgewinde. Dafür finden wir ein Trapezgewinde an der Spindel des Schraubstocks in unserer Schrauberbude.

Rundgewinde können zweierlei

Das Rundgewinde wird bei zwei ganz verschiedenen Gelegenheiten verwendet. Hier gibt es gar keine scharfen Kanten. Es ist also recht unempfindlich gegen Beschädigungen. Auch Schmutz kann sich hier nicht gut festsetzen, weil es keine erkennen gibt. Rundgewinde findet man daher da, wo nicht besonders gnädig damit umgegangen wird. Zum Beispiel an den Spindeln mit denen Eisenbahnkupplungen zugespannt werden.

Rundgewinde können spanlos aus Blech hergestellt werden wie hier bei der Glühbirne, sind aber auch unempfindlich gehen Schutz und Beschädigungen (Bild: Autor)

Rundgewinde finden wir auch an den Sockeln von Glühbirnen und den dazugehörenden Fassungen. Hier aber nicht wegen ihrer Robustheit. Hier spielt die Fertigungstechnik eine Rolle: Die Gewinde an Glühlampensockeln und Fassungen sind aus Blech und werden durch Umformen hergestellt. Blech verträgt es aber nicht, scharf geknickt zu werden. Das würde aber passieren, wenn man versuchen würde ein Spitz- oder Trapezgewinde in das Blech zu pressen. Deswegen eignet sich hier das Rundgewinde, weil es hier keine scharfen Kanten gibt.

Gewinde am Motorrad: Der Formschluss ist ein Trugschluss

Eine Schraube geht in der Regel durch zwei oder mehr Bauteile. Auf der einen Seite ist der Schraubenkopf und auf der anderen Seite wird eine Mutter aufgedreht. Oder im hintersten Teil sitzt eine Bohrung, in die man ein Gewinde hinein geschnitten hat.

Kraftschluss an der Verschraubung
Eine Verschraubung hält durch Kraftschluss, nicht durch Formschlusss! (Bild: Autor:)

Auf den ersten Blick scheint so eine Schraube genau in ihre Bohrung zu passen. Deswegen könnte man auf die Idee kommen, dass sie allein durch ihr Dasein verhindert, dass die verschraubten Teile sich gegeneinander verschieben. Das wäre ein bösartiger Trugschluss.

Wenn zwei Teile sozusagen mit einander verzahnen, sodass sie sich nicht mehr gegeneinander verschieben können, nennt man das Formschluss. Wenn sie so fest gegeneinander gedrückt werden, dass sie sich durch die Reibung nicht mehr verschieben können, nennt man das Kraftschluss. Eine Verschraubung sieht nun auf den ersten Blick aus wie eine formschlüssige Verbindung, ist aber in Wirklichkeit eine kraftschlüssige. Sie muss nämlich die beiden verschraubten Teile so fest aufeinander drücken, dass sie sich durch die Reibung zwischen ihnen nicht mehr verschieben können.

Der Drehmomentschlüssel, dein Freund und Helfer

Alles andere ist Murks. Eine nicht richtig festgezogene Schraube kann auf den ersten Blick verhindern, dass sich die beiden Teile gegeneinander verschieben. Tatsächlich fallen sie auch nicht auseinander. Jedoch hat eine normale Schraube etwas Spiel in ihrem Durchgangsloch. Und um dieses Spiel kann sich die Schraubverbindung verschieben, wenn sie nicht durch Kraftschluss hält. Sie bewegt sich unter wechselnder Belastung hin und her. Dadurch wird dann aus dem Durchgangsloch ein Langloch.

Das ist nun auch der Grund, warum Schrauben und Gewinde am Motorrad meist ein vorgeschriebenes Anzugsdrehmoment aufweisen. Man muss nämlich die Schraube so fest anziehen, dass die Presskraft so viel Reibung erzeugt, dass sich dadurch die Teile nicht verschieben können. Man darf sie aber auch nicht fester anziehen, denn sonst besteht die Gefahr, sie abzureißen. Das muss man im Gefühl haben – oder man benutzt einen Drehmomentschlüssel.

Ein Drehmomentschlüssel ist unabdingbar, wenn es darum geht, mehrere Schrauben gleichmäßig fest zu ziehen. Das ist zum Beispiel der Fall bei Zylinderkopfschrauben. Aber auch die Radschrauben beim Auto zieht man mit einem Drehmomentschlüssel fest.

So viel nun zur Theorie der Schrauben und Gewinde am Motorrad. Im zweiten Teil dieser Geschichte soll es dann um die Praxis gehen. Nämlich darum, welche Arten Schrauben und Gewinde am Motorrad vorkommen können und wie man damit umgeht.