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Lenkkopfwinkel, Radstand und Nachlauf

Ein bisschen grundlegende Fahrwerksgeometrie beim Motorrad

Autofahrer kümmern sich wohl eher weniger um ihre Fahrwerksgeometrie. Im Gegensatz zu einem Motorrad sieht man sie ja dort auch nicht. Bei letzterem fällt sie ins Auge und sagt dem Wissenden sofort, für was sich ein Motorrad eignet. Was hat es also auf sich mit Radstand, Lenkkopfwinkel und Nachlauf?

Radstand, Lenkkopfwinkel und Nachlauf
Radstand, Lenkkopfwinkel und Nachlauf beeinflussen das Handling entscheidend. (Bild: Autor)

Das einfachste und grundlegendste Maß der Fahrwerkgeometrie eines Zweirades ist der Radstand, den man in der ersten Abbildung sieht. Grob gesagt ist das der Abstand zwischen der vorderen oder hinteren Achse. Genauer betrachtet ist es der Abstand zwischen den beiden Punkten an denen der Vorder- und der Hinterreifen die Fahrbahn berühren.

Der Lenkkopfwinkel erzeugt den Nachlauf

Der zweite wichtige Wert ist der Lenkkopfwinkel. Das ist der Winkel zwischen der Senkrechten und der Drehachse der Gabel im Lenkkopflager. Manche messen ihn auch zwischen dieser Drehachse und der Waagerechten. Wir beziehen uns hier auf die Senkrechte. Der Lenkkopfwinkel entscheidet darüber, ob ein Rad geschoben oder gezogen wird.

Zwei unterscheidliche Lenkkopfwinkel als Ansicht
Zwei verschiedene Lenkkopfwinkel: Links ein Chopper, rechts ein kurvenfreudiges Motorrad (Bild: Autor)

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wenn das Vorderrad eines Motorrades oder eines Fahrrades geschoben würde, weil die Gabel schräg nach vorne zeigt. Es ist aber genau umgekehrt. Es kommt nämlich nicht auf die Form der Gabel, sondern darauf an, ob der Aufstandspunkt des Rades vor oder hinter der Schwenkachse liegt. In der Zeichnung kann man erkennen, dass bei einer nach vorne schrägen Gabel dieser Aufstandspunkt hinter dieser Schwenkachse oder Lenkachse, also der verlängerten Mittellinie des Lenkkopfes liegt. Auch beim Auto gibt es einen Nachlauf. Sowohl bei diesem als auch beim Motorrad wird das Vorderrad bzw. die Vorderräder gezogen und stellen sich nach einer Lenkbewegung von selbst wieder gerade, wenn man die Lenkung nicht mehr einschlägt.

Gleicher Lenkeinschlag bei zwei unterschiedlichen Lenkkopfwinkeln
Beim gleichen Lenkeinschlag am Lenker… (Bild: Autor)

Den Abstand zwischen dem gedachten Schnittpunkt der Lenkachse und dem Aufstandspunkt des Rades auf dem Boden bezeichnet man als Nachlauf. Es ist nun klar, dass dieser Nachlauf umso größer ist, je flacher die Längsachse nach vorne zeigt. Der Nachlauf entscheidet nun darüber, wie gern oder ungern sich das Rad einschlagen lässt und wie gern oder wie ungern es sich von selbst wieder gerade ausstellt.

Gleicher Lenkeinschlag bei unterschiedlichen Lenkkopfwinkeln in der Draufsicht
… unterschiedliche wirksame Lenkeinschläge bzw. Kurvenradien… (Bild: Autor)

Ein wenig wirkt sich der Lenkkopfwinkel auch auf den Radstand aus. Wenn man ein herkömmliches Motorrad zu einem Chopper umbaut, baut man nicht nur eine längere Gabel ein, sondern stellt auch den Lenkkopf flacher. Dadurch wird dann auch der Radstand etwas größer.

Lenkkopfwinkel, Nachlauf und Kurvenfreudigkeit

Die grundlegende Fahrwerksgeometrie beim Motorrad kann man sich sehr schön klarmachen, wenn man einen Chopper mit einem herkömmlichen Motorrad vergleicht. Der Chopper hat einen flachen Lenkkopfwinkel und damit einen großen Nachlauf. Deswegen lässt sich sein Vorderrad ungern einschlagen, kehrt aber gerne wieder zurück in die Mittelstellung. Deswegen fahren Chopper gut geradeaus aber schlecht um die Kurve.

Der Lenkkopfwinkel hat aber noch eine weitere Auswirkung die wir uns anhand der Abbildungen klarmachen. In der zweiten Abbildung sind Lenkkopf und Gabel jeweils eines Choppers und eines herkömmlichen Motorrades dargestellt, das Vorderrad steht dabei jeweils gerade. In der dritten Abbildung ist zu sehen, dass beide Gabeln gleich weit eingeschlagen wurden.

Gleicher Lenkeinschlag bei unterschiedlichen Lenkkopfwinkeln in der Vorderansicht
… und unterschiedliche Neigungen zur Senkrechten. (Bild: Autor)

Schaut man sich diese Situation nun einmal von vorne an, wie das in der vierten Abbildung zu sehen ist, fällt auf, dass sich beide Räder nicht nur gedreht, sondern auch zur Seite geneigt haben. Beim Vorderrad des Choppers ist diese Auswirkung stärker, was an dem flacheren Lenkkopfwinkel liegt. Was hier schräger ist als bei dem Motorrad mit der steileren Gabel, fehlt sozusagen beim eigentlichen Lenkeinschlag.

BMW R 18 mit dufter Tschai Längerer Radstand, mehr Nachlauf, flacherer Lenkkopfwinkel
Ein eher flacher Lenkkopfwinkel, ein größerer Nachlauf und ein längerer Radstand finden sich bei (Soft-)Choppern wie dieser BMW R 18… (Bild: BMW Pressefoto)

In der fünften Abbildung ist das zu sehen: Beim gleichen Lenkeinschlag ist der Winkel zwischen der Längsachse der Guffel und der Rollrichtung des Reifens größer als bei dem Moped mit der steileren Gabel. Man muss zwar etwas genauer hinschauen, denn der Unterschied beträgt nur ein paar Grad; aber er wirkt sich zusätzlich zum längeren Nachlauf auf das Handling der Maschine aus.

Und wie sieht das in der Praxis aus?

Schaut man sich nun unterschiedliche Arten von Motorrädern an, sieht man, wie Lenkkopfwinkel, Radstand und Nachlauf mit dem Einsatzzweck zusammenhängt. Enduros, wie die BMW R 1250 GS haben hier andere Werte als Softchopper wie die R 18. Die weiß-blaue Enduro hat einen Lenkkopfwinkel von 62,9° und erzeugt damit einen Nachlauf von 109 mm. Der Radstand beträgt 1525 mm.

BMW R 1250 GS kurzer Radstand, steilerLenkkopfwinkel weniger Nachlauf
… wohingegen einer Enduro wie dieser R 1250 GS ein steilerer Lenkkopfwinkel, ein kürzerer Nachlauf und ein kürzerer Radstand wohl anstehen. (Bild: BMW Pressefoto)

Der Softchopper aus dem gleichen Hause hat einen flacheren Lenkkopfwinkel von 57,3° und einen Nachlauf von 150 mm. Hier beträgt der Radstand 1731 nmm. Mit diesen Werten kann man komfortabel geradeaus crusien und gediegen durch die Kurven schwingen. Die Werte der Enduro sind für das gute Handling im Gelände und eventuell auch das etwas flottere Müllern auf der Straße gedacht.

Für normale Straßenrennen, bei denen es ums Kurvenfahren geht, werden Motorräder eingesetzt, die einen steilen Lenkkopfwinkel haben, damit man sie gut um die Ecken schwenken kann. Anders bei Beschleunigungsrennen, bei denen es nur eine Richtung gibt: Geradeaus. Bei einem Dragster, einem Motorrad für solche Wettbewerbe fällt der flache Lenkkopfwinkel sogar deutlich ins Auge.

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