Aus Nürnberg: Die Guzzi vor der Guzzi
Nur etwa zwei Jahre wurde sie gebaut; nur etwa 5000 Maschinen verließen das Nürnberger Victoria-Werk: die Victoria V 35 Bergmeister. Großer Erfolg war ihr also nicht beschieden. Aber eine interessante Konstruktion ist sie allemal.
Längs eingebaute Zweizylinder-V-Motoren assoziieren wir heutzutage mit Moto Guzzi. Tatsächlich aber gibt es diese, für Guzzis heute so typische Bauweise dort erst seit den sechziger Jahren. Bereits im Zweiten Weltkrieg konstruierte man bei Indian in den USA ein Seitenwagen-Motorrad für das Militär mit einem längs eingebauten Zweizylinder-V-Motor. Es wurden zwar über 1000 Stück dieser Indian 841 gebaut und getestet, zum tatsächlichen Einsatz kam sie aber nie.
Die Victoria V 35 Bergmeister: Zündapp „in der Verwandtschaft“
Die Idee beim längs eingebauten V-Motor ist wohl hauptsächlich, dass die Zylinderköpfe in der Kurve nicht so leicht aufsetzen können wie bei einem Boxer. Das war vielleicht auch der Gedanke bei der Victoria V 35 Bergmeister von 153. Ansonsten riecht dieses Motorrad stark nach Zündapp-Boxer: Zumindest wenn man weiß, dass hier ein Kettengetriebe am Werk ist. Und das nicht von ungefähr. Konstruiert wurde die Bergmeister nämlich von Richard Küchen. Der war es nämlich, der die legendäre Zündapp KS 750 für die deutsche Wehrmacht entwickelt hatte. Und die Hoffmann Gouverneur, ein ganz ähnliches Maschinchen. Nur 100 ccm kleiner und mit Boxermotor.
Nun war die Victoria V 35 Bergmeister aber eine deutliche Nummer kleiner als die 841 von Indian. Die 35 in der Modellbezeichnung steht für den Hubraum von 350 cm³. Genau sind es 347 cm³. Für die damaligen Zeiten war das aber recht respektabel. Immerhin 21 PS leistete das Maschinchen und brachte es damit laut Werksangabe auf flotte 120 km/h Spitzengeschwindigkeit, teilweise findet man auch 130 oder gar 135 km/h angegeben. Mit 64 mm Bohrung und 54 mm Hub ist der Motor ein typischer Kurzhuber.
Der Rahmen der Bergmeisterin war ein Doppelrohrrahmen aus nahtlos gezogenem Stahlrohr. Vorne gab es ein Teleskopgabel, hinten die damals verbreitete Geradwegfederung. Das Kettengetriebe wie vier Gänge auf und leitete das Drehmoment über ein Kardanwelle an das Hinterrad. Diese war aus Federstahl, so dass man sich die sonst üblichen Hardyscheiben sparen konnte. Und es gab Vollnaben-Trommelbremsen, wie sie auch bei der BMW R 25/3 aus dem gleichen Jahr zu finden waren.
Die Victoria V 35 Bergmeister, ein sportliches Maschinchen
Insgesamt also durchaus auch ein sportliches Motorrädchen, diese Victoria V 35 Bergmeister. Vielleicht war ihr Problem ja auch, dass sie in Konkurrenz mit entsprechenden Modellen von Horex NSU und Konsorten treten musste. Die Regina und die Konsul spielten in der gleichen Liga, auch DKW hatte eine 350er. Und da gab es noch die Maico Taifun mit 350 und 400 ccm. Wobei Maico und DKW Zweitakter waren. Gleichzeitig war aber der Markt für sportliche Motorräder doch eher klein.
Wenn man auch von einem Motorradboom der Fünfzigerjahre spricht, gab es damals eher wenig über 125 cm³ Hubraum. Die Schwarze Josephine von Tornax und die Einzylinder von BMW, die 250er Adler, Maico und wohl noch ein paar mehr in der Viertelliterklasse, die man heute nicht mehr so kennt, waren schon respektable Motorräder. In den Anfängen der Massenmotorisierung war die 125er das Maß aller Dinge. Das konnte man sich leisten. Ein richtig schweres Motorrad, so damals Alexander Spoerl in „Mit Motorrad und Roller auf Du“, war im Unterhalt ähnlich teuer wie ein kleines Auto.
So verschwand die Bergmeister von Victoria schon bald wieder. Ein Schicksal, dass sie auch mit der NSU Konsul teilte. Und mit der Horex Regina, der 350er DKW und der Maico Taifun.
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