Sekundärantriebe für das Motorrad

Kette oder Kardan? Bis vor einigen Jahrzehnten waren der Kettenantrieb und der Kardantrieb die beiden gängigen Möglichkeiten, das Drehmoment eines Motorrads zum Hinterrad zu bringen. Mittlerweile ist der Riemenantrieb (wieder) hinzugekommen. Was ist nun besser, was ist billiger, was ist teurer? Oder nehmen sie sich im Endeffekt gar nichts?

Der Riemenantrieb vom Getriebeausgang einer Guffel zum Hinterrad ist nicht neu und war es auch nicht, als er um 1990 in unser Bewusstsein rückte. Wer sich Bilder von ganz alten Motorrädern anschaut, sieht, dass hier im Anfang Riemenantriebe verwendet wurden. Später dann kam die Kette auf und seit nunmehr ungefähr 100 Jahren auch der Kardanantrieb.

Kette oder Kardan – BMW setzt von Anfang an auf die Welle

Jedes Kind weiß: Kardanwelle und Boxermotor gibt es bei BMW schon immer. Das ist aber nicht ganz richtig. Natürlich war es von Anfang an klar, dass ein Kettenantrieb bei einem längs eingebauten Motor kompliziert ist: Man benötigt nämlich zwei Winkelgetriebe. Eins davon kann man sich sparen, wenn man statt der Kette eine Welle nimmt.

Sunbeam S7 Deluxe
Bei einem längs eingebauten Motor bietet sich der Kardan an – so wie bei dieser Sunbeam S7 Deluxe von 195o (Bild: Steve Glover/Lizenz: CC Attribution 2.0 Generic)

Genau das sagte man sich offenbar in jenen alten Tagen, als längst verblichene Ingenieure den ersten BMW-Boxermotor ersannen. Und trotzdem bauten sie zunächst keine Kardanwelle ein. Nanu, warum denn das? Nun, sie nahmen eine Welle, aber Kardan war nicht nötig. Damals hatten die Motorräder nämlich allesamt noch Starrahmen, also ungefederte Hinterräder. Eine ordinäre Welle ohne Gelenke reichte ihr aus.

Douglas Dragonfly -  Kardan oder Kette?
Warum einfach, wenn’s auch umständlich geht. Längs eingebautes Triebwerk, trotzdem Kettenantrieb. Und nein, nix BMW R Soundso – Douglas Dragonfly. Und nix Boxer – Flat Twin, also gewissermaßen ein plattgedrückter V-Motor. (Bild: Andy Dingley/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 3.0 Unported)

Es empfahl sich, in den Antriebsstrang noch eine oder zwei sogenannte Hardyscheiben einzubauen. Das sind Federelemente aus Gummi, welche es ermöglichen, dass sich die Welle federnd verdreht. Eine Kardanwelle im eigentlichen Sinne, also eine Welle mit Kardangelenken wurde erst nötig, als man die Hinterradfederung einführte.

Kette oder Kardan – Quer eingebaute Motoren schreien nach der Kette

Wenn der Motor quer eingebaut ist, ist es das einfachste, dem Getriebeausgang und das Hinterrad mit einem Zugmitteltrieb zu verbinden. Am Anfang war das wie gesagt ein einfacher Riementrieb. Als aber die Motorräder stärker wurden, machte sich der Schlupf unangenehm bemerkbar, der einem Riementrieb unweigerlich anhaftet. Statt dem kraftschlüssigen – also auf Reibung basierenden – Riementrieb musste also ein formschlüssiger her.

Indian Four
Auch Indian machte diesen Unfug. Ist aber nicht auf deren Mist gewachsen – wie das ganze Bike. Indian erbte die Four mit dem längs eingebauten Vierzylinder bei der Übernahme von Henderson/Ace und baute sie als Indian Four weiter. Wie man bei einem längs eingebauten Motor einen Kettenantrieb wählen kann, wissen wohl nur die Konstrukteuere solcher Motorräder (Bild: Qflieger/Lizenz: CC Creative Commons Attribution 3.0 Unported)

Die sogenannte Gallsche Kette, wie der Fachausdruck für Ketten in der Art von Motorrad- und Fahrradketten lautet, ist zwar wie der Riemen ein Zugmitteltriebe, basiert aber auf Formschluss: die Kraftübertragung erfolgt über Elemente, die nicht nur aneinander reiben, sondern sich in einander verzahnen und dadurch gegenseitig mitnehmen.

Der Kettenantrieb ist preisgünstig, aber nicht sehr haltbar. Er besteht im Grunde aus lauter Gelenken. Daher gibt es unzählige Ritzen, in die Schmutz und Wasser hinein kriechen können. Und die zerschmirgeln die schöne Kette ziemlich schnell. Man muss sie deswegen fleißig pflegen und trotzdem ziemlich oft auswechseln. („Wir duften nicht nach Eau de Toilette, bei uns schnuppert man gutes Kettenfett…“ Torfrock – Beinhart)

Die arme, arme Kette

Es gab schon allerhand Versuche, die Kette vor dem Unbill zu schützen, welches ihr vom Straßenschmutz droht. Bei Mopeds und kleinen Motorrädern fand man früher oft blecherne Kettenkästen. Die waren aber nicht dicht, konnten deswegen kein Ölbad enthalten, was einer Kette das liebste ist. Stattdessen bildet sich in so einem Kettenkasten ein schmirgelndes Schlammbad für die Kette. Es gab auch schon Ölbad-Kettenkästen, aber die hatten wohl immer mit Dichtigkeitsproblemen zu kämpfen.

NSU Konsul Kettenkasten
Einen recht vornehmen Kettenkasten gab es bei der NSU Konsul: Hier wurde die Kette mit dem überschüssigen Öl aus der Kurbelgehäuseentlüftung gelabt. Da hat sie sich bestimmt gefreut. Heute gäbe so eine Konstruktion vermutlich Ärger mit dem Umweltschutz. Denn irgendwann kam das Öl garantiert auch irgendwo wieder aus dem Kettenkasten heraus… (Bild: Lothar Spurzem/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 2.0 Germany)

Eine einigermaßen gangbare Lösung waren Fettkettenkästen. Sie müssen nicht gar so dicht sein und das Fett schmiert und schützt die Kette. Zumindest in der Theorie. Wenn in der Praxis aber doch Dreck eindringt, wird aus dem schönen Schmierfett erstklassige Läpppaste, die dann auch wieder die Kette zerschmirgelt.

Kette oder Kardan? Ketten mögen keinen Wüstensand

Besonders lästig werden die Kettenprobleme wenn man es mit extrem staubiger Umgebung zu tun hat. Die BMWs und Zündapps der Wehrmacht kamen in der russischen Steppe und der nordafrikanischen Wüste gut zurecht. Dabei dürfte es eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, dass es keine Kette gab, die vom Wüstensand rapide zerschmirgelt werden konnte.

BMW R 68 - Kette oder Kardan?
Wenn’s um Kette oder Kardan geht und letzterer betrachtet wird, darf eine BMW vom amtlichen Kardanmacher nicht fehlen! Und zwar hier eine aus den Days of Auld wie diese R68, denn die aktuellen machen ja auf dem Blog an anderen Stellen immer wieder von sich reden. (Bild: Jeffrey M Dean/Lizenz: CC Attribution-Share Alike 3.0 Unported)

Jedenfalls schrieb die US Army im Zweiten Weltkrieg die Entwicklung eines Seitenwagen-Motorrads aus. Kette oder Kardan? Es sollte einen Kardanantrieb besitzen, der eben gegen Wüstensand unempfindlich war. Harley-Davidson kopierte gnadenlos das Boxermotorrad von BMW. Indian war nicht ganz so unverfroren. Hier wurden zumindest die Zylinder ein wenig nach oben geklappt. Das sah dann so aus wie später bei der Victoria Bergmeister und noch später bei Moto Guzzi. Zum längs eingebauten Motor gehört halt ein Kardan, auch wenn es schon andere Konstruktionen gab, wie zum Beispiel bei der englischen Marke Douglas.

Auch zwei Winkelgetriebe können sich lohnen

Herrlich, ihr Brüder, lebet hingegen der Kardan. Er ist heutzutage voll gekapselt und kann daher wunderhübsch im Ölbad laufen. Allerdings ist er teuer, denn er erfordert ein Winkelgetriebe. Nun geht es ja bei einem längs eingebauten Motor à la Guzzi und BMW überhaupt nicht ohne Winkelgetriebe. Dafür braucht man bei einem quer eingebauten Motor sogar deren zwei.

Kardanwelle Yamaha XV 1100 Virago
„Kette oder Kardan?“ fragte man sich wohl auch seinerzeit in Iwata im fernen Japan. Bei Elfie spendierten die Konstrukteure sogar zwei Winkelgetriebe, um trotz quer eingebautem Big Twin eine Kardanwelle zur Anwendung bringen zu können. Und wie in so mancher von Elfies Schwestern läuft sie seit über 100.000 Kilometern wunderbar. (Bild: Autor)

Offenbar fanden unter anderen die Konstrukteure von Motorrädern wie den Viragos von Yamaha, dass sich dieser Aufwand lohne. Deswegen findet man auch Motorräder mit quer eingebauten Motor und Kardanwelle.

Kette oder Kardan? Nun gut, bei der Herstellung und damit bei der Anschaffung des Motorrades ist der Kardan teuer. Dafür verlangt er sein Leben lang nicht mehr, als hin und wieder eine neue Ölfüllung. Daher wird ihn der Kettenantrieb irgendwann im Laufe eines langen Motorradlebens kostenmäßig einholen.

Kette oder Kardan? Keins von beiden!

Eine verhältnismäßig neue Lösung ist der Zahnriemenantrieb. Ein Zahnriemen arbeitet nicht mit Kraftschluss sondern formschlüssig wie eine Kette. Das hat er dem alten Riemenantrieb von vor dem ersten Weltkrieg voraus. Er hat aber keine wie dieser Gelenke. Außerdem arbeitet er leise und ist nicht übermäßig teuer. Und er hält lange.

Ich verstehe ja die Argumente für den Zahnriemenantrieb bei Motorrädern. Und wenn BMW ihn bei quer eingebauten Motoren verwendet, taugt er sicherlich was. Aber irgendwie ist er nicht mein Ding. Mit dem Kardanantrieb an meiner Elfie hab ich ja auch gut reden. Wenn ich eine Guffel mit Kettenantrieb hätte, könnte es durchaus sein, dass mich die Argumente für den Zahnriemenantrieb schon überzeugt hätten.