Das Motorrad-Blog (nicht nur) für Alte Knacker

Mannweib, Göttin oder patentes Mädel?

Die Virago-Familie von Yamaha und ihre Zeit

In den 80ern kamen die japanischen Softchopper oder Cruiser auf. Dicke V-Motoren (auf den ersten Blick) a la Harley-Davidson. Aber doch anders. Schlechter? Besser? Ein markanter Vertreter dieser Motorradgattung ist die Virago-Reihe von Yamaha. Ob sie nun die Harley für Arme oder die bessere Harley ist – darüber wird wohl gestritten. Hier jedenfalls ist ihre Geschichte:

Anfang der 70er Jahre, als wir mit unsern Eltern um die Haarlänge feilschten, Rockmusik entdeckten und anfingen uns für Mädels zu interessieren, waren sie auf einmal da: die seltsamen Motorräder mit der langen Gabel, „dem Hinterrad von einem Traktor und dem Vorderrad von einem Kinderwagen“, wie jemand es mal ausdrückte, unter deren tropfenförmigen Tank ein gewaltiger V-Zweizylinder bullerte.

So durfte und darf man bei uns nicht auf die Straße. Auch nicht, wen man Captain America heißt… (Bild: Joachim Köhler/Lizenz: Creative Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“)

Wie heißt eigentlich so ein Motorrad?

Dass diese Mühlen Chopper hießen, erfuhren wir erst später, wir kannten diese Dinger auch nur von Bildern. Der extreme Gabelwinkel eines echten Choppers und schon gar ein Vorderrad ohne Bremse gingen mit unserem Dampfkessel-Überwachungs-Verein mal gar nicht. Was man allenfalls sah, waren Motorräder mit herkömmlichem Fahrwerk, die man mit einen Hochlenker (Bei Fahrrädern hieß das Ding damals offiziell „Gesundheitslenker“) und einer Sissy-Bar gepimpt hatte. Ein in den 70ern bekanntes Bild von Alice Cooper zeigt ihn auf einer so ausgerüsteten Gummikuh (so weit ich erkennen kann, dürfte es eine R50 oder eine R69 sein), die zusätzlich noch hochgezogene Auspufftüten und eine Art Teardrop Tank mit neckischer Bemalung besitzt.

Eine costumized XV 750 (Bild: Bob Adams/Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic)

Überhaupt: Harleys kannte man bei uns in den 70ern fast nur von Bildern. Es muss 1978 gewesen sein, da durfte ich mal auf einer Sportster mitfahren, die aber das einzige Bike aus Milwaukee weit und breit war. Selbst Biker aus echten MCs fuhren damals alles möglichen Marken, viele Guffeln die man heute als Naked Bikes bezeichnen würde; etwas anderes gab es ja – abgesehen von verkleideten „Joghurtbechern“ und Enduros – praktisch nicht.

Die Softchopper treten auf den Plan

In den 80ern jedoch sah man auf einmal mehr und mehr Harleys. Bei Yamaha muss man wohl gut aufgepasst haben, denn bereits 1981 erschien die Yamaha XV 750 S.E., die erste in der Virago-Verwandtschaft. Der Motor stammte von der TR, war aber von einem ganzen auf einen Dreiviertelliter Hubraum verkleinert. Die Chopper-Attribute der ersten Virago (obwohl sie zunächst noch nicht so hieß, jedenfalls stand es noch nicht drauf) waren noch nicht so ausgeprägt wie später die der Suzuki Intruder, aber im Gegensatz zur TR1, einem Tourenmotorrad, schon deutlich vorhanden.

Die Yamaha XV 535 Virago, meine Wiedereinstiegsdroge… (Bild: privat)

Die XV 750 war nun verglichen mit den Bikes von Harley-Davidson – es war noch die Zeit der Late Shovel mit 1340 ccm – ein wenig schmalbrüstig. Nach einer XV 1000, die eher wieder ein Tourer war, kam mit der XV 1000 Virago ein größerer Softchopper. Später, 1988 nämlich, wurde der Motor noch auf kaufmännisch gerundete 1100 ccm (es sind tatsächlich nur 1063 ccm) vergrößert.

Die Virago-Schwestern

Auch kleinere Viragines (ja, so heißt der korrekte Plural von Virago im Latein) erblickten das Licht der Welt: Erstmal 1988 die 535er. Die wurde zum beliebtesten Softchopper überhaupt. Mit ihrem verhältnismäßig geringen Gewicht und der niedrigen Sitzposition bekam sie aber auch den Ruf eine Mädchen-Motorrads. Tatsächlich ist sie bei Frauen beliebt, aber auch Männer fahren das „Spielzeugmobbed“, wie mein Freund Martin sie nannte.

… und hier meine liebe, gute, alte, wunderbare Elfie, eine 1993er Yamaha XV 1100 Virago (Bild: Autor)

Es gab dann auch noch kleinere Viragines, neben einer 500er und einer 400er eine 250er und sogar eine 125er, so dass das Viragieren auch schon für Kids ab 16 mit dem Führerschein A1 möglich ist. Interessant, dass nicht nur die 250er, sondern sogar diese winzige Virago gleich ihren großen Schwestern über einen V-Twin verfügt.

Bei der Virago gibt es also Hubräume vom Achtele bis zur großzügig eingeschenkten Maß. Da ist für jeden was dabei und man kann schon mit 16 anfangen, sich „hochzudienen“, da die kleinste der Viragines in das Raster des A1 passt. Die 250er und auch noch die 535er sind von Hause aus A2-konform und für die 1100er gibt es einen Drosselkit auf 48 PS.

Die Technik der Virago

So sieht das herz einer Yamaha XV 1100 Virago aus (Bild: Autor)

Auch wenn die Motorräder der Virago-Familie den Guffeln aus Milwaukee äußerlich mehr oder weniger ähneln, gibt es doch Unterschiede. Genau genommen haben die Virago-Motoren mit denen von Harley nicht viel mehr gemeinsam als die zwei Zylinder und die V-Anordnung. Deswegen klingt eben auch der Sound einer Virago anders als der einer Harley.

Ein von außen sichtbarer Unterschied zwischen den Motoren ist zunächst der Zylinderwinkel, der bei Harleys seit Urzeiten schmale 45°, bei der Virago 75° beträgt. Das reduziert die V-Twin-Schüttelei schon mal; ein übriges tut dann die Ausgleichswelle, die es hier gibt und auf die man bei HD erst viel später kam. Die sieht man von außen zwar nicht, genau sowenig wie die Pleuel. Deren eines wird in Milwaukee/Wisconsin als Gabelpleuel ausgeführt, so dass es das andere zärtlich umfasst.

An den versetzten Zylindern erkennt man, dass es hier kein Gabelpleuel a la Harley gibt… (Bild: Autor)

Bei der Virago gibt es das nicht; die Pleuel verzichten auf eine innige Umarmung und sitzen brav nebeneinander auf dem gemeinsamen Hubzapfen. Der Effekt ist aber von außen sichtbar: Die Zylinder der Virago sitzen in Längsrichtung deutlich gegeneinander versetzt, während sie bei der Harley fluchten.

Ventiltrieb und Kraftübertagung

Beim Blick auf die Zylinder und ihre Köpfe fällt nun nicht nur auf, dass nicht nur die Köpfe verdächtig nach obenliegender Nockenwelle aussehen, sondern auch die Rohre mit den Stößelstangen fehlen. Der Schein trügt auch nicht; die Virago besaß schon eine obenliegende Nockenwelle, als man bei Harley-Davidsons zuhause vermutlich noch nicht einmal wusste wie man OHC schreibt.

… und an den Köpfen, dass hier keine steinzeitlichen Stößelstangen, sondern eine obenliegende Nockenwelle Dienst tut. (Bild: Autor)

Einen wesentlichen Unterschied gibt es auch beim Primärantrieb: Nur die Sportster von HD haben wie auch die Virago einen einzigen Block für Motor und Getriebe; bei den Großen sitzen diese beiden Komponenten nach angelsächsischer Manier in gesonderten Gehäusen. Original wird die Verbindung von der Kurbelwelle zur Primärwelle im Getriebe mit einer Kette hergestellt, was zusammen mit der am Getriebeeingang sitzenden, wuchtigen Kupplung den Harley-Davidson-Motor von vorne unverkennbar breit bauend macht. Gern wird von den Harley-Leuten ja die Primärkette durch einen oft kriminell offen laufenden Riemen ersetzt – wie, wenn da die Hose reinkommt? – und das Triebwerk von der Backbordseite irgendwie an einen Lanz-Bulldog mit per Flachriemen konnektierter Dreschmaschine erinnern lässt. Bei der Virago verbinden zwei Zahnräder an Steuerbordseite Kurbelwelle und Getriebe. Auch hier sitzt die Kupplung auf der Getriebeseite, trägt aber weniger auf.

Tja, die beste Kette ist halt immer noch die, die es gar nicht gibt, weil da ein Kardan seinen Dienst versieht (Foto: Autor)

Sekundär trieb man bei Harley-Davidsons zu Zeiten der XV 750 noch mit einer Gallschen Kette aka „Motorradkette“ an, einem Maschinenelement, das im Openair-Betrieb noch nie flavum ovi war; später kam dann jener Riemen, mit dem ich mich halt nicht und nicht anfreunden kann. Die Virago hat einen Kardan, den technisch besten, aber auch teuersten Antrieb, der bei einem quer eingebauten Motor halt obendrein noch statt nur einem Winkelgetriebe deren zwei erfordert. Aber es lohnt sich, denn das ewige Hätscheln, Tätscheln und dann doch Wechseln der Kette wird durch einen gelegentlichen Ölwechsel ersetzt.

V2 heute?

So wie Harley-Davidson Motorräder für eine Generation baut und möglicherweise mit ihr verschwinden wird, sind, wohl alle großen Cruiser und Softchopper mit V2-Maschine, Motorräder für eine Generation. Motorradjournalisten sprechen bereits vom Ende der Ära. Rein technisch gesehen, könnten die Big Twins ohne weiteres überleben, denn mit ihren geringen Literleistungen dürften sie sich problemlos auch noch schärfer werdenden Abgasnormen anpassen lassen. Aber die Nachfrage…

Aber noch rollen sie, die Ladies mit den zwei dicken Dingern, noch ist die Generation V2 on the Road. Und es wird sie hoffentlich noch eine Weile geben, auch wenn die letzte solche Guffel vom Band gelaufen ist. Denn Eiserne Pferde leben lange – und ihre Reiter hoffentlich auch.

Mein Fazit:

Die Zeiten, da die Japaner erst genau nachbauten, dann verbesserten und schließlich besser wurden als das Original, sind offenbar schon lange vorbei. Man beginnt heute im Land der aufgehenden Sonne mit der dritten Stufe der eistigen Erfolgsleiter, dem eigenständigen, hochwertigen Produkt.

Schon vor über 40 Jahren, als man dort mit den längs eingebauten großen V-Twins begann, entstand eine eigenständige Interpretation des Themas. Die japanische Antwort auf Harley-Davidson, wenn man so will. Die Frage, ob die große Virago nun eine Harley für Arme oder die bessere Harley sei, erübrigt sich, denn es gilt:

Eine Virago ist eine Virago ist eine Virago…

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