Was ist los mit Harley-Davidson?

Harley-Davidson ist nicht nur eine Motorradmarke und ein Mythos, sondern auch ein Lebensstil. Laut der Firma verkauft man dort keine Motorräder, sondern einen Lebensstil – das passende Motorrad gäbe es gratis dazu.

Harley-Davidson Panhead
Harley-Davidson ist nicht nur ein Motorrad, sondern ein Lebensgefühl… (Bild: aidigital, Pixabay)

Man hörte nun in letzter Zeit, dass es im Hause Harley nicht zum Besten stünde, was den geschäftlichen Erfolg angehe. Ich fand auch bei YouTube zwei Videos (hier und hier) zu diesem Thema. Mittlerweile hat man zwar schon wieder Gewinn gemacht, jetzt kommt es aber darauf an, dass das so bleibt. In Deutschland und vielen anderen Ländern war der Absatz nämlich auch 2021 noch rückläufig. Schaut man an einem schönen Sommer-Sonntag auf die Straße – ist man geneigt zu sagen: „Kein Wunder, dass Harley-Davidson keine Moppeds mehr verkauft, es hat ja schon jeder eine!“

Moppeds sterben eher selten

Da scheint auf den ersten Blick etwas dran zu sein, nicht zuletzt auch, weil Guffeln ja deutlich länger halten als Autos und viel öfter ein zweites Leben als Oldtimer bekommen. Fahrzeuge sind typischerweise erst mehr oder weniger gefragte Gebrauchte, dann billige Gebrauchte. Bei Autos kommt dann eine Zeit, in der sie in der Regel Schrott sind und meist auch dort landen. Motorräder überspringen die Schrottphase und erreichen wie die wenigen Autos, die diese ebenfalls schaffen, das beschauliche Dasein eines gehätschelten und getätschelten Oldies. (Wobei der Begriff „Oldie“ hier auch Youngtimer, Classics oder wie man die noch nicht ganz so alten, aber schon nostalgischen Fahrzeuge nennen mag, einschließt.)

BMW Oldie
Motorräder sind in der Regel langlebig und bleiben auch lange alltagstauglich, daher sieht man auch Oldies wie diese Gummikuh noch öfter mal auf der Straße (Bild: dendoktoor, Pixabay)

Wenige Autos, aber deutlich mehr Motorräder überspringen auch die Billigphase und werden irgendwann vom Edel-Gebrauchten zum Klassiker. Bei den Motorrädern gehören hier BMWs und natürlich auch Harleys unbedingt dazu. Bei Harley kommt noch dazu, dass hier wohl besonders viel geschraubt wird und z.B. neuere Motoren in alte Rahmen gepflanzt und auch alte Bikes customized werden. Da ist also auch mittelaltes Eisen immer gefragt.

Kleine Geschichte einer großen Marke

Harley-Davidson begann ganz unscheinbar 1903 in Milwaukee mit Leuten, die Motorräder zusammenschraubten. Erst Einzylinder und dann auch V-Twins. Die urtümlichen F-Heads, dann die Flatheads, Knuckleheads, Panheads… Viele Motorradmarken entstanden so, aber nur wenige überlebten. Manche davon waren in ihren Tagen mehr oder weniger erfolgreich, wurden aber später vom Auto verdrängt und nur sehr wenige gibt es heute noch.

Im Ersten Weltkrieg machte Harley-Davidson gute Geschäfte mit der Army. Danach musste das Unternehmen sich erst einmal wieder auf den privaten Kunden fokussieren. In den Zwanzigern wurden F-Heads gebaut, neben einem quer eingebauten Boxermotor; 1929 kam die Flathead. Der richtige Aufstieg aber kam mit dem Zweiten Weltkrieg, als die U.S. Army Harleys in großen Stückzahlen abnahm.

Zu dieser Zeit gab es bereits die modernere Knucklehead; die Army aber bekam die bereits bewährten Flathead-Motoren. Diese überlebten die Knuckleheads sogar, die man bis 1947 baute, und wurden erst 1948 vom Panhead-Motor, einer Weiterentwicklung des Knucklehead abgelöst. Hintergrund des Schattendaseins der Knucklehead war, dass sie bereits hängende Ventile (OHV) besaß, der Flathead-Motor aber aufgrund seiner (konstruktiv einfacheren) stehenden Ventile als zuverlässiger galt.

Harley-Davidson Panhead
Dauerbrenner Flathead: Sie überlebte sogar ihre Nachfolgerin, die Knucklehead (Bild: Arto Alanenpää, Lizenz: Creative Commons Attribution 3.0 Unported)

Der Flathead-Motoren waren auch Grundlage des K-Motors, der in ab 1952 in eine Art Sportster-Vorläufer eingebaut wurde. Wie bei den späteren Sportster-Motoren sitzen hier Motor und Getriebe in einem Gehäuse, während bei den „großen“ Harleys das Getriebe nach der feinen englischen Art in einem separaten Gehäuse am Motorblock angeflanscht ist. Die eigentliche Sportster kam dann 1957.

Die Shovelhead erschien 1965 und blieb bis 1984. Die Early Shovel ist die 1200er, die Late Shovel die 1340er. Hauptsächlich besteht der Unterschied aber darin, dass die Early Shovel noch den Motorblock der Panhead hat, die Late Shovel einen neuen, eigenen.

Für manche Puristen mag nun die Geschichte von Harley-Davidson 1984 mit der Late Shovel als letzte echte Harley enden. Es gibt wohl auch immer noch Leute, die auf die Panhead schwören. Der bitterböse amerikanische Outlaw-Countrysänger David Alan Coe (ja, manchmal singt er auch Lieder, die nicht zotig oder sonstwie politisch unkorrekt sind) hat ihr mit seinem Song „Panheads Forever“ eine hinreißende Liebeserklärung gemacht.

Tatsächlich wurde der Evo-Motor von fremden Leuten konstruiert, nämlich bei Porsche – und aus Leichtmetall, passt das zu Harley? Außerdem kam mit ihm, genauer gesagt, ganz kurz danach, der unsägliche Nähmaschinenantrieb. Alles in allem war er aber noch recht Harley, weil einige traditionelle Konstruktionselemente blieben.

Woran krankt Harley-Davidson?

An diesen und weiteren technischen Neuerungen, welche die Originale aus Milwaukee teilweise auch näher an die japanischen „Fälschungen“ brachten, haben sich wohl aber nicht viele Harley-Davidson-Fahrer gestört, denn die Geschäfte gingen erst mal weiter gut. Der Einbruch kam mit der Krise 2008 und danach konnte Harley-Davidson sich lange nicht erholen.

In den beiden Filmen, die ich mir zu diesem Thema angesehen habe, wird als Hauptgrund angegeben, dass die Harley-Fahrer immer älter würden. In dem einen Film heißt es, dass der durchschnittliche Motorradfahrer 1985 27 Jahre alt war, 2003 41 Jahre und 2018 50 Jahre. Gemeint sind damit die Käufer neuer Harleys.

Alter Knacker auf Harley-Davidson
Stimmt das Klischee des Harley-Fahrers? (Bild: Couleur, Pixabay)

Offensichtlich ist es so, dass die Kunden von Harley-Davidson nicht eine Altersgruppe sind, sondern eine Generation. Und Generationen sterben – anders als Altersgruppen – dummerweise aus. Und das ist in der Tat ein Problem. Ein weiterer Grund , heißt es in dem Film, seien die hohen Preise. Ich habe mich mal darüber gewundert, dass einem beim Biken so viele Harleys und BMWs begegnen. Eine kurze Preisrecherche im Internet zeigte mir, dass die Preise für diese Motorräder auch nicht so exorbitant über denen von dicken Japanerinnen liegen.

Aber: Man muss bedenken, dass es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten recht viele Leute mit sehr begrenzter Daumenbreite gibt. Die Ausbeutung der Werktätigen ist dort noch gnadenloser als bei uns. Und so ist dort eine Harley-Davidson eben nicht so erschwinglich wie bei uns.

Sind Motorradfahrer ganz allgemein alte Knacker?

Das Thema „Bikende Alte Knacker“ war auch Anfang letzten Jahres bei dem deutschen Motorradmagazin, beim MOTORRAD nämlich, dran. Laut der Statistik des Kraftfahrtbundesamtes, so wurde dort berichtet, sei der durchschnittliche Deutsche Motorradfahrer zwischen 50 und 59 Jahren alt.

Heise online meint dazu, dass dies ein verzerrtes Bild sei. Dahinter stecke der versicherungstechnische Unbill, der jungen Bikern knüppelhart ins Gesicht weht. Die werden nämlich von den Versicherungen gnadenlos abgezockt; die Folge ist, dass die Kids ihre Guffeln halt auf Papi anmelden, der altershalber in den Genuss eines wesentlich günstigeren Tarifs kommt.

Außerdem verweist man bei Heise online darauf, dass auch der Verkauf von neuen Schüsseln überwiegend an ältere Leute erfolgt und dies auch das Bild verfälsche, weil es einen Gebrauchtmarkt gibt, der doppelt so groß ist wie der für neue Maschinen.

Das ist nun alles richtig und erfreulich für uns Motorradfahrer, weil es eben doch nicht so ist, dass wir aussterben. Man muss sich nur mal bei DuRöhrst nach Videos zum Thema Motorrad umsehen, dann findet man dort durchaus auch allerhand Stoff von jungen Leuten.

Auf den ersten Blick nutzt das den Motorradherstellern aber nichts, auf den zweiten dann aber doch: Zwar kaufen die jungen Biker eher keine neuen, sondern gebrauchte Motorräder, woran die Hersteller ja nicht verdienen. Direkt nicht, wohl aber indirekt: Wenn sich gebrauchte Moppeds gut verkaufen lassen, ist man als potenzieller Neukäufer eher geneigt sich ein neues zu kaufen. Vielleicht sogar weniger wegen des Werterhaltes, sondern weil man das vorhandene Bike zu einem guten Preis los wird und so einen kräftigen Zuschuss zum neuen bekommt. Ein guter Gebrauchtmarkt fördert also den Absatz der Neuware.

Die leidige Führerschein-Problematik

Zumindest bei uns in Deutschland spielt natürlich aber auch der Führerschein eine Rolle. In meinen goldenen Jugendtagen war der Motorradführerschein leicht zu erwerben und nicht teuer. Das ist heute anders. Sicher bin ich nicht der einzige Biker, der als Bestager nach langer Abstinenz (wie konnte ich es bloß all die Jahre ohne Guffel aushalten?) wieder zum Motorrad gekommen ist. Wesentlich häufiger sind aber wohl Motorrad-Opas, die mit oder ohne Unterbrechungen schon seit ihrer Jugend fahren, aber eben auch weil damals der Einstieg leicht war.

Alter Führerschein von 1911
Einen Führerschein braucht man für Kraftfahrzeuge schon lange

In der Regel verdient man während des Arbeitslebens mit dem Älterwerden auch mehr. Auch die heutigen Rentner sind vielfach finanziös gut gepolstert. Ganz allgemein gelten sie daher als interessante Zielgruppe für nicht ganz billige Produkte. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Hobbies als Altmänner-Hobbies gelten, weil sie (vermeintlich) teuer sind und ältere Leute sie sich eher leisten können – und vielleicht auch eher die Zeit dafür haben. Es gibt eine Menge Leute, die im Rentenalter oder kurz davor einen Jagdschein oder eine Bootsführerschein machen. Sowohl die Jagd als auch das Segeln gelten deswegen als etwas für alte Männer. Übrigens: Für beide dieser Leidenschaften kann man viel Geld ausgeben, muss es aber nicht. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Auch für mein Motorrad habe ich ja nicht viel Geld ausgegeben (siehe die Story wie ich wieder zum Biken kam). Wenn ich mir je mal eine Shovelhead oder gar eine Panhead zulegen sollte, werde ich wohl noch ein Weilchen sparen müssen.

Zurück zum Thema: Die älteren Leute, die von früher her einen „Einser“ haben, rücken nicht mehr lange nach. Die heutigen Mittelalterlichen haben schon eher selten einen Motorradführerschein, es sei denn, sie sind aktive Biker oder waren es mal. Dass das mit dem Motorradführerschein nicht mehr so einfach ist, ist ja schon länger der Fall.

Und wie ist das speziell bei Harley-Davidson?

In Deutschland gilt das über den Führerschein gesagte natürlich auch für Harley-Fahrer. Ganz allgemein wird hier aber dahinter stecken, dass Harley-Davidson fahren eine ganz spezielle Art des Motorradfahrens ist, tatsächlich ein Lebensgefühl – das wie es aussieht im Wesentlichen auf eine Generation beschränkt ist.

Die modernen Harleys – mag sie der Purist nun als echte Harley-Davidsons ansehen oder nicht – wurden von den typischen Harley-Fahrern ja durchaus gut angenommen. Das Problem ist, dass diese spezielle Art der Motorradfahrer verschwindet: Die Harley-Käufer sind eben keine Altersklasse sondern eine Generation.

Moderne Harley
Morbus Harley-Davidson: Neue, moderne Modelle gibt es durchaus – aber sie sprechen halt wieder nur die alten Kunden an… (Bild: 652234, Pixabay)

Das Modernisieren der Modellpalette hat aus diesem kühlen Grunde eben nur funktioniert, solange die „Generation Harley-Davidson“ noch voll da war. Ein Gegenbeispiel ist BMW: Vermutlich hat man hier rechtzeitig erkannt, wohin die Reise geht und darauf reagiert.

Nach wie vor baut BMW nach alter Väter Sitte seine längs eingebauten Zweizylinder-Boxermotoren, aber: Man hat nicht nur bei den Modellen mit diesem Antrieb diversifiziert, sondern angefangen, auch Bikes mit quer eingebauten Motoren zu bauen. Ob diese nun den eingefleischten Boxer-Puristen gefallen, spielt keine Rolle. Sie bekommen ja ihr Mopped mit den zwei Ohren nach wie vor. Aber auch andere Motorradfahrer finden bei BMW etwas passendes. Sei es einer der Boxer, oder eben auch ein anderes Modell.

Wobei auch schon der Boxer recht vielseitig ist: Waren die Serienmodelle früher von Hause aus etwas behäbig, konnte man dennoch recht gut Feuer darin machen. Das zeigen die Rennerfolge, die BMW in den alten Tagen damit erzielte. Wenn er auch in der ebenfalls vorhandenen ganz schnellen Klasse – für die es ja auch die Vierzylinder-Reihenmotoren gibt – heute nicht mehr mithalten kann, so werkelt er nicht nur in den Heritage-Modelle, sondern auch in zeitgemäßen Tourern und Enduros.

Zeitgenössische BMW
Irgendetwas muss BMW richtig gemacht haben: Hier finden sich ganz unterschiedliche Guffeln für alle möglichen Typen von Bikern (Bild: aidigital, Pixabay)

Harley-Davidson hingegen ist offenbar in seinem eigenen Mythos gefangen, der eben nur die verschwindende Generation Harley-Davidson anspricht. Man hat es ganz offenbar versäumt, sich mit anderen Motoren als den ollen V-Twins einen Namen zu machen. Auch wenn diese modernisiert wurden, sprechen sie offenbar keine neuen Käuferschichten an.

BMW mag sich mit seinen Reihenmotoren leichter getan haben, weil bereits entsprechende Erfahrung aus der Autosparte im Hause war. Harley könnte sich aber für neue Motorenkonzepte außer Haus Know-How kaufen. Bei der Entwicklung des Evo-Motors hat man das ja auch getan.

Ein Trost bleibt…

Sollte nun – wie in den erwähnten Videos befürchtet – Harley-Davidson in den nächsten Jahren tatsächlich verschwinden, bleibt ein Trost: Bikes haben ein langes Leben; daher werden so lange die Generation Harley-Davidson lebt, immer noch genug gebrauchte Harleys auf dem Markt sein.